Was ich in meinem vorvorletzten Beitrag im Zusammenhang mit dem Guttenberg’schen Plagiat sehr verkürzt und mit grippigem Kopf in die Welt geworfen habe:
“Kein Wunder, dass dieses Land ein Problem im Umgang mit Hochbegabten und Hochbegabung hat.”
bekommt nun Sprache und Kontext durch einen Artikel der Süddeutschen Zeitung.
Titel: Die verachtete Wissenschaft
”Die Plagiatsdebatte um Verteidigungsminister Guttenberg zeigt, was Merkel & Co. sowie ein Großteil der Bevölkerung von der akademischen Welt halten. Wissenschaft ist für sie so unwichtig, dass man dort krumme Touren drehen kann.”
Ich könnte dieses Artikel eigentlich Wort für Wort zitieren, was aber nicht Sinn der Sache ist. Lest selbst. Deshalb nur noch dies:
An der Affäre wird deutlich, “… was das regierende Personal tatsächlich über die Universität denkt. Es gebe in Deutschland andere Probleme als Fußnoten, sagte Volker Bouffier, der hessische Ministerpräsident (als ob Plagiate gleich Fußnoten wären). Und die Bundeskanzlerin erklärte, sie haben einen Verteidigungsminister und keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter berufen (als ob ein Täuscher und Blender dasselbe wäre wie ein Assistent). Die beiden wissen sich einig mit einem Großteil der Bevölkerung, der Betrügereien im akademischen Betrieb offenbar für eine lässliche Sünde hält – im Unterschied zu Betrügereien im Sport, zum Doping, das in den Augen derselben Menschen unnachsichtig geahndet gehört.”
Fazit:
”Man kann nicht auf der einen Seite erklären, Bildung sei die wichtigste Ressource dieses Landes, um auf der anderen Seite die Qualifikationsstandards dem Populismus zu überlassen. Man kann Wissenschaft nicht gleichzeitig beschwören und verachten. Geschehen ist es trotzdem. Darin besteht die Verheerung, die diese Affäre zurücklässt.”
Die aufgezeigte Missachtung von Wissenschaft, Intellektualität und intellektueller Leistung führt im Grunde direkt zur Missachtung, die Hochbegabte, zumal hochbegabte Kinder, oft tagtäglich in ihrem Alltag erleben (müssen).
Schüler, die in Sport, Musik, Kunst herausragende Leistungen zeigen, werden in Schulen trainiert, gefördert und gefeiert, ihre Urkunden und Pokale werden in Vitrinen ausgestellt. Intellektuell hochbegabte Schüler versucht man auf Normalmaß zu stutzen und zwingt ihnen oft mit aller “Macht” das Pensum der weniger begabten Gleichaltrigen auf. Unterlagen für z. B. Mathematikwettbewerbe und Juniorakademien werden oft erst gar nicht weitergereicht. Ich habe erlebt, wie ein Lehrer einem hochbegabten Jungen die Teilnahme an einem Wettbewerb untersagte mit der Begründung, er solle sich nicht so “aus dem Fenster hängen”, das sei unsozial.
Lehrer – generell Menschen – wie diese sind es, die Guttenberg zumindest indirekt weiterhin unterstützen und damit einen Verrat gutheißen und letztlich selbst begehen, der viele Dimensionen hat.
Zugespitzt: Die Duldung der Guttenberg’schen Lüge und seines Missbrauches der intellektuellen Leistung anderer ist auf engste Weise verbunden mit der Qual, der viele hochbegabte Kinder in ihrer (Schul-) Situation z. T. Tag für Tag ausgesetzt sind.
Letztlich handelt es sich wiederum auch um den Verrat an dem großen Potenzial, das Hochbegabte der Gesellschaft zur Verfügung stellen könnten, wenn man sie nur ließe.