Seit Samstag stehe ich häufig den ganzen Tag am Infostand der DGhK (Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind) in einer großen Verbrauchermesse in Essen im Rahmen der Präsentation der Selbsthilfegruppen der Stadt.
Die Gespräche, die ich dort führe, decken die ganze Spannweite ab von humorigen Antworten auf hingeworfene dämliche Kommentare Vorbeigehender bis hin zu wirklichen SOS-Gesprächen mit Eltern (vermutlicher oder auch getesteter) hochbegabter Kinder, die sonst nie zu uns gefunden hätten.
Was ich da z.T. so höre, macht mich manchmal wirklich sprachlos.
Schule ist oft nicht optimal für sehr oder gar hochbegabte Kinder, das ist bekannt.
Was weniger bekannt ist – bzw. oft nicht laut ausgesprochen wird, weil dem, der das tut, Kreuzigung droht – ist die Tatsache, dass auch viele Eltern nicht gut sind für ihre Kinder, sie total aus dem Blick verloren haben, völlig blind und planlos handeln – oder Schlimmeres.
Ich will mich deutlich ausdrücken: Wenn hochbegabte Kinder zum Problem werden für sich und andere, ist es durchaus nicht selten so, dass eigentlich die Eltern das zentrale Problem darstellen und erst in zweiter Linie die Kinder.
Nur zwei Beispiele aus den letzten Tagen:
Da ist eine Familie mit einer Tochter, die mit fünf Jahren, total fit und auch hochbegabt getestet, schon lesen und rechnen kann. Sie wird trotzdem aber erst mit sieben eingeschult – und das auf einer Waldorfschule. In der dritten Klasse dort kann das Mädchen nun mittlerweile nicht mehr lesen und nicht mehr rechnen! Alles weg!! Außerdem, nach den Schilderungen der Eltern, ist das Mädchen mittlerweile wohl hochgradig depressiv, will nicht mehr zur Schule, verweigert sich allem, will sogar nicht mehr essen.
Und die Eltern sehen nicht, dass da HANDLUNGSBEDARF ist! (“Ach, Sie meinen, wir müssten da was unternehmen?”)
Da ist eine Mutter mit einem Sohn, von dem alle sagen – von Familie über Nachbarn bis zum Kinderarzt, dass er sicher hochbegabt sei. Er wird trotzdem auf eine Realschule geschickt, weil der Vater halt “nur” auf einer solchen war. Die Probleme in der Schule sind immens, der Junge klagt über Öde, ist beginnender systematischer Schulschwänzer. Außerdem hat er keine Freunde, ist isoliert und kaum mehr ansprechbar. Die Situation scheint schulisch und familiär eine einzige Katastrophe zu sein.
Die Mutter weigert sich jedoch, den Sohn testen zu lassen, weil sie Angst vor den “Folgen” hat, wenn sich herausstellen sollte, dass der Junge wirklich hochbegabt ist. Auf die Frage, ob sie aus Angst vor einer Diagnose auch nicht zu einem Arzt gehen und sich auch nicht behandeln lassen würde, damit es ihr dann besser gehe, schaut sie mich nur groß an und sagt: “Ich will aber kein hochbegabtes Kind – und mein Mann schon gar nicht!”
Vielleicht wird an den beiden Beispielen deutlich, was ich meine.
Wie unendlich viel bewusster und nah am Kind ist da die Handlungsweise von Ellen Gause, die sie auf dem Blog Der Lehrerfreund in einem Gastbeitrag beschreibt. Auf den ersten Blick erscheint ihre Vorgehensweise unvernünftig und aufrührerisch – auf den zweiten aber zeigt sich klar, dass sie ihre Kinder wirklich wahrnimmt und entsprechende Entscheidungen zusammen mit ihnen trifft. Nicht stromlinienförmig, aber realistisch und verantwortungsbewusst.
Es ist nicht so, dass ich die Handlungsweise von Frau Gause bei allen Eltern und allen Kindern für sinnvoll und praktikabel halte – manche Eltern können sie nicht verantwortungsbewusst handhaben und manche Kinder sind nicht in der Lage, vernünftig damit umzugehen.
Was ich aber an Frau Gauses Ansatz schätze, das ist der stimmige Blick auf ihre Kinder und die Fähigkeit, sich bewusst für sie einzusetzen, notfalls auch mit etwas unkonventionellen Mitteln.
Das ist vielleicht streitbar – aber unendlich viel mehr, vor allem viel näher am eigenen Kind, als ich es in der Regel in Beratungsgesprächen, wie oben exemplarisch geschildert, erlebe.