Heute ist Sonntag, eigentlich ein Tag des Ausspannens und nicht dazu da, sich zu ärgern. Genau das tue ich aber im Moment: Ich ärgere mich.
Ich ärgere mich über die immer mehr um sich greifende Un-Art des Journalismus, aus irgend etwas genau das zu machen: Irgend etwas.
Eine Nicht-Nachricht. Eine Nicht-Nachricht zudem, die möglichst viel Aufmerksamkeit aufwirbelt, durch einen fetzigen Titel vielleicht. Eine Nachricht, die sich scheinbar seriös auf eine scheinbar seriöse Studie bezieht und daraus scheinbar seriöse Schlüsse zieht und dabei geschickt mit des Volkes Meinungen und Vorurteile spielt und sie zu bestätigen scheint, sie sogar anheizt.
Genau im letzten Satz wird dann die Katze doch noch aus dem Sack gelassen – und der ganze Artikel entlarvt sich als das, was er ist: ein Beispiel des unseriösen Journalismus.
Es muss einfach irgend etwas geschrieben werden.
Hohl. Leer. Stimmungsmachend.
Ich halte das für kontraproduktiv: Ein die Sache verratender und gefährlicher Journalismus!
Besonders schlimm finde ich, dass mittlerweile auch so seriöse Zeitungen wie die Süddeutsche Zeitung genau solche Artikel produziert und veröffentlicht.
Jüngstes Beispiel:
Grundschule für Fünfjährige – Überforderte Kleine
“Die Einschulung mit fünf wird vielfach propagiert. Doch eine britische Studie weckt Zweifel am Sinn des frühen Schulbesuch. Leistungen und Psyche können darunter leiden.”
Undsoweiterundsoweiterundsoweiterundsoweiterundsoweiter.
Es wird gewarnt, gedroht und Böses prophezeit.
“Oh, ja, wusste ich’s doch”, schreit des Volkes um das Wohl des Kindes doch so ungemein besorgte Seele auf: “Die armen Kleinen! Man nimmt ihnen die Kindheit, verbietet ihnen das Spielen, setzt sie Stress und Mobbing aus und zerstört sie physisch und psychisch für ihr ganzes Leben. OGottoGottoGott!”
Die Stimmung ist also gesetzt: Vorzeitige Einschulung ist böse, böse, und die Briten, die das schon lange praktizieren, bestätigen das auch noch. Und das in einer Studie!!!! Die armen kleinen gequälten Wesen!
Die letzten zwei Sätze des Artikels entlarven dann das Ganze:
“Der Grundschulexperte Hans Brügelmann von der Universität Siegen nennt die englische Studie einen ‘ungemein wichtigen Beitrag’ zur bildungspolitischen Debatte. ‘Die Empfehlung, das Einschulungsalter anzuheben, dürfe aber nicht missverstanden werden. Ob die Schule mit fünf, sechs oder sieben Jahren beginnen sollte, lasse lässt sich nicht pauschal sagen’, betont Brügelmann: ‘Es hängt davon ab, was in dieser Eingangsstufe gemacht und wie dort gearbeitet wird.’”
Und jetzt kommt’s:
”Die aus England berichteten Probleme würden vor allem damit zusammenhängen, dass dort in der Ära von Premier Margaret Thatcher eine am Entwicklungsstand der Kinder orientierte Pädagogik aufgegeben worden sei.”
Also gibt es die geschilderten Probleme bei der vorzeitigen Einschulung generell als solche vermutlich gar nicht, sondern zeigen sich nur dann, wenn keine kindgerechte, sondern eine “Bims-Pädagogik” betrieben wird. Und die britische Studie, die die “Fakten” liefern soll, welch böse Folgen die vorzeitige Einschulung für Kinder haben soll, entlarvt sich als Studie über ein altes hausgemachtes länderspezifisch englisches Problem.
Wo also liegt jenseits von populistischer Stimmungsmache gegen die vorzeitige Einschulung, die aber doch für viele gut begabte und gar hochbegabte Kinder sehr wichtig und genau rechtzeitig sein kann, die Relevanz dieses Artikels?
Ach ja – übrigens:
Wenn “eine am Entwicklungsstand der Kinder orientierte Pädagogik aufgegeben” wird, liebe Journalisten, liebe Pädagogen, liebe um das Kindeswohl besorgte Seele des Volkes, dann ist ja wohl absolut JEDES Einschulalter zu früh!!!