Archiv für die Kategorie Bildung und Erziehung

Bildungsgipfel – Nur Verlierer

“Überall nur Verlierer”, so heißt es im Untertitel eines Berichtes der SZ zum Bildungsgipfel.

Das Kompetenzgerangel der Länder und ihr Feilschen um Geld gehen “zielstrebig am Ziel vorbei”.

Schlimmer noch: “Denn die Botschaft, die ihr Verhalten ausstrahlt, ist verheerend. Die Menschen interessieren sich nicht für Kompetenzfragen oder für die Feinheiten der Verteilung der Umsatzsteuer. Sie wollen vielmehr wissen, ob der Staat sich angemessen um gute Schulen und gute Universitäten kümmert. So gesehen haben am Mittwoch alle verloren: Der Bund und die Länder, die Schulen und die Universitäten – und die Menschen, die sich ein besseres, gut ausgestattetes Bildungssystem wünschen.”

Hatte da jemand Hoffnung auf “Mehr”?
Mensch, Du hofftest vergebens.
Nichts Neues unter der Sonne. Unter der Sonne nichts Neues.

Mich beschleicht ein Gefühl der Resignation, das ich nicht haben möchte.

 

Zum Heulen

Wenn Lehrer weinen und keiner mehr was lernt, so titelt heute die WAZ im Hauptteil – und was man da so liest, ist wirklich zum Heulen.

Der Untertitel: “Aggressive, verwahrloste Kinder machen an vielen Schulen Unterricht unmöglich. Beinahe noch schwerer zu ertragen ist das völlige Desinteresse vieler Eltern am Lernerfolg ihres Nachwuchses. Ein deprimierender Frontbericht.”

Man lese selbst.
Ein Satz sei jedoch noch zitiert: “15 Minuten Unterricht pro Stunde ‘sind viel’”.
Wundert man sich da, wenn gewillte Betriebe keine Auszubildenden mehr nehmen mit der Begründung, dass ein enormer Prozentsatz der Schulabgänger nicht ausbildungsfähig ist…

Falls jemand glaubt, das sei doch alles übertrieben, dem kann ich mit einer Geschichte aus meinem persönlichen Umfeld aushelfen:
Eine gute Freundin, Hauptschullehrerin, Anfang 50, wirklich handfest und robust, ist am Ende. Vor zwei Jahren musste sie schon einmal pausieren wegen eines Burn-out-Syndrom und ging dann, durch eine Kur neu motiviert und gestärkt, wieder frohgemut ans Werk. Zunächst ging alles gut. An ihrer Schule gab es dann jedoch im Frühjahr krankheitsbedingte Ausfälle (Burn-out!) von bis zu 30% der Lehrer. Konsequenz: Jeden Tag wechselnde Stundenpläne, Fremdfachunterricht als Normalfall z. T. aus dem Stand heraus, schwierige und aggressive Schüler, mangelnde Lernfortschritte, gereizte Stimmung auch unter den verbliebenen Kollegen. Fazit: Eine auch objektiv gesehen absolut überfordernde Situation! Die Lage für meine Freundin wurde durch all diese Belastungen bald wieder grenzwertig. Als dann ein Schüler einen tätlichen Angriff auf sie wagte, verließ sie weinend die Klasse und ging zu ihrem Konrektor (der Rektor war auch erkrankt) und schilderte ihm den Vorfall und die unerträgliche Situation in der Klasse, die allgemein als äußerst problematisch bekannt war. Die “fürsorgliche” Reaktion des Konrektors: “Da müssen Sie selber sehen, wie Sie klarkommen.”
Daraufhin brach meine Freundin endgültig zusammen.

Ach ja, eine andere Freundin, die, mit ihrer Familie Idylle und heiles Umfeld suchend, vor Jahren extra in einen kleinen Ort am Niederrhein gezogen war, erzählte mir just am Dienstag Folgendes: Ihre 11jährige Tochter ist im Schulbus aus dem Nichts heraus völlig grundlos von einem ihr völlig unbekannten Zehntklässler plötzlich angegriffen und so zusammengeschlagen worden, dass sie für drei Tage ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Es gibt Zeugen genug, der Junge hat sogar gestanden. Allerdings: Die Eltern des Jungen machen einen Riesenaufstand, weil das alles doch nicht sein könne, ihr Bubi so etwas nie machen würde und die Verletzungen des Mädchen unmöglich “aus dieser kleinen Rangelei” stammen könnten und das Mädchen ihrem armen Jungen bestimmt an den Hals gegangen sei.

“Wo bleibt das Positive, Herr Kästner?”

 

Jugendsoftwarepreis 2010

Da ich so nett gebeten wurde, auf den Wettbewerb hinzuweisen:

„Zeig mal!“
Jugendsoftwarepreis 2010 – der naturwissenschaftliche Wettbewerb für Schülerinnen und Schüler

Gesucht werden von Schülerinnen und Schülern entwickelte multimediale Präsentationen, die ein naturwissenschaftliches oder mathematisches Thema behandeln.

Die Arbeiten, die bis zum 20. September eingereicht werden können, sollten eigenes Wissen möglichst einzigartig, zeitgemäß und originell vermitteln. Ob digitale Folienpräsentation, Website oder komplexes Java-Programm – die Art des Beitrags ist nicht entscheidend. Auch der Inhalt der Arbeit ist frei wählbar, er muss sich aber den Fachbereichen Mathematik, Biologie, Chemie, Physik oder angrenzenden Fachbereichen wie der Astronomie oder der Geographie zuordnen lassen.

Teilnehmen können Einzelpersonen sowie Teams von Schülerinnen und Schülern aller Klassenstufen und Schulformen. Sie müssen im Schuljahr 2009/2010 eine allgemeinbildende Schule in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz besuchen und dürfen bei Einsendeschluss nicht älter als 21 Jahre sein.
Die Wettbe­werbsbeiträge können in oder außerhalb des regulären Unterrichtes erstellt werden. Für die Siegerbeiträge gibt es attraktive Preise bis zu 1000 Euro.

Der nächste Einsendeschluss für den Wettbewerb ist der 20. September 2010

Mehr Informationen im Internet unter www.jugendsoftwarepreis.info

Der Jugendsoftwarepreis ist in Projekt der Klaus Tschira Stiftung und wird jährlich ausgelobt. Die gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Heidelberg fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik sowie deren Wertschätzung.

 

Stimmungsmachender Null-Journalismus

Heute ist Sonntag, eigentlich ein Tag des Ausspannens und nicht dazu da, sich zu ärgern. Genau das tue ich aber im Moment: Ich ärgere mich.

Ich ärgere mich über die immer mehr um sich greifende Un-Art des Journalismus, aus irgend etwas genau das zu machen: Irgend etwas.
Eine Nicht-Nachricht. Eine Nicht-Nachricht zudem, die möglichst viel Aufmerksamkeit aufwirbelt, durch einen fetzigen Titel vielleicht. Eine Nachricht, die sich scheinbar seriös auf eine scheinbar seriöse Studie bezieht und daraus scheinbar seriöse Schlüsse zieht und dabei geschickt mit des Volkes Meinungen und Vorurteile spielt und sie zu bestätigen scheint, sie sogar anheizt.
Genau im letzten Satz wird dann die Katze doch noch aus dem Sack gelassen – und der ganze Artikel entlarvt sich als das, was er ist: ein Beispiel des unseriösen Journalismus.
Es muss einfach irgend etwas geschrieben werden.
Hohl. Leer. Stimmungsmachend.
Ich halte das für kontraproduktiv: Ein die Sache verratender und gefährlicher Journalismus!

Besonders schlimm finde ich, dass mittlerweile auch so seriöse Zeitungen wie die Süddeutsche Zeitung genau solche Artikel produziert und veröffentlicht.

Jüngstes Beispiel:
Grundschule für Fünfjährige – Überforderte Kleine
“Die Einschulung mit fünf wird vielfach propagiert. Doch eine britische Studie weckt Zweifel am Sinn des frühen Schulbesuch. Leistungen und Psyche können darunter leiden.”
Undsoweiterundsoweiterundsoweiterundsoweiterundsoweiter.
Es wird gewarnt, gedroht und Böses prophezeit.

“Oh, ja, wusste ich’s doch”, schreit des Volkes um das Wohl des Kindes doch so ungemein besorgte Seele auf: “Die armen Kleinen! Man nimmt ihnen die Kindheit, verbietet ihnen das Spielen, setzt sie Stress und Mobbing aus und zerstört sie physisch und psychisch für ihr ganzes Leben. OGottoGottoGott!”

Die Stimmung ist also gesetzt: Vorzeitige Einschulung ist böse, böse, und die Briten, die das schon lange praktizieren, bestätigen das auch noch. Und das in einer Studie!!!! Die armen kleinen gequälten Wesen!

Die letzten zwei Sätze des Artikels entlarven dann das Ganze:

“Der Grundschulexperte Hans Brügelmann von der Universität Siegen nennt die englische Studie einen ‘ungemein wichtigen Beitrag’ zur bildungspolitischen Debatte. ‘Die Empfehlung, das Einschulungsalter anzuheben, dürfe aber nicht missverstanden werden. Ob die Schule mit fünf, sechs oder sieben Jahren beginnen sollte, lasse lässt sich nicht pauschal sagen’, betont Brügelmann: ‘Es hängt davon ab, was in dieser Eingangsstufe gemacht und wie dort gearbeitet wird.’

Und jetzt kommt’s:
”Die aus England berichteten Probleme würden vor allem damit zusammenhängen, dass dort in der Ära von Premier Margaret Thatcher eine am Entwicklungsstand der Kinder orientierte Pädagogik aufgegeben worden sei.”

Also gibt es die geschilderten Probleme bei der vorzeitigen Einschulung generell als solche vermutlich gar nicht, sondern zeigen sich nur dann, wenn keine kindgerechte, sondern eine “Bims-Pädagogik” betrieben wird. Und die britische Studie, die die “Fakten” liefern soll, welch böse Folgen die vorzeitige Einschulung für Kinder haben soll, entlarvt sich als Studie über ein altes hausgemachtes länderspezifisch englisches Problem.

Wo also liegt jenseits von populistischer Stimmungsmache gegen die vorzeitige Einschulung, die aber doch für viele gut begabte und gar hochbegabte Kinder sehr wichtig und genau rechtzeitig sein kann, die Relevanz dieses Artikels?

Ach ja – übrigens:
Wenn “eine am Entwicklungsstand der Kinder orientierte Pädagogik aufgegeben” wird, liebe Journalisten, liebe Pädagogen, liebe um das Kindeswohl besorgte Seele des Volkes, dann ist ja wohl absolut JEDES Einschulalter zu früh!!!

 

Goethe an Schiller und umgekehrt

Also, ich habe so einen großen Spaß daran, dass ich auf diesen ganz besonderen “Blog” aufmerksam machen möchte:

Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe

“Diese Site veröffentlicht den Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe aus den Jahren 1794 bis 1805 in Echtzeit, das heißt, die Briefe werden um 215 Jahre versetzt an dem Datum veröffentlicht, an dem sie geschrieben wurden. Beginn ist der 13. Juni 2009.”

Ein entsprechendes Buch hätte ich mir, obwohl ich halt auch Germanistin bin/war, wohl nie gekauft, aber so in Abständen von ein paar Tagen am Austausch der beiden Geistesgrößen Anteil zu haben, ist mir eine wirkliche Freude.

Vor allem bin ich überrascht von der vertrauten und vertrauensvollen Offenheit, in der Schiller und Goethe miteinander umgehen. Auch teilen sie sich in erstaunlicher Selbstwahrnehmung sehr differenziert ihre jeweiligen Stärken und Schwächen mit – und in anerkennender und schätzender Wahrnehmung des anderen auch dessen Vorzüge und Schwachstellen.

Ein Beispiel aus dem “heutigen” Brief von Schiller an Goethe auf dessen Einladung hin: 
“Mit Freuden nehme ich Ihre gütige Einladung nach W. an, doch mit der ernstlichen Bitte, daß Sie in keinem einzigen Stück Ihrer häuslichen Ordnung auf mich rechnen mögen, denn leider nöthigen mich meine Krämpfe gewöhnlich, den ganzen Morgen dem Schlaf zu widmen, weil sie mir des Nachts keine Ruhe lassen, und überhaupt wird es mir nie so gut, auch den Tag über auf eine bestimmte Stunde sicher zählen zu dürfen. Sie werden mir also erlauben, mich in Ihrem Hause als einen völlig Fremden zu betrachten, auf den nicht geachtet wird, und dadurch, daß ich mich ganz isolire, der Verlegenheit zu entgehen, jemand anders von meinem Befinden abhängen zu lassen. Die Ordnung, die jedem andern Menschen wohl macht, ist mein gefährlichster Feind, denn ich darf nur in einer bestimmten Zeit etwas Bestimmtes vornehmen müssen, so bin ich sicher, daß es mir nicht möglich seyn wird.
Entschuldigen Sie diese Präliminarien, die ich nothwendigerweise vorhergehen lassen mußte, um meine Existenz bei Ihnen auch nur möglich zu machen. Ich bitte bloß um die leidige Freiheit, bei Ihnen krank seyn zu dürfen.”

Ein wunderbarer Satz:
”Ich bitte bloß um die leidige Freiheit, bei Ihnen krank seyn zu dürfen.”

Wer traut sich denn heute noch, eine Einladung mit einer solchen “Zumutung” anzunehmen…

 

Ziel von Bildung: Der wirtschaftlich verwertbare Mensch

Da gibt es wieder einmal einen Länder-Bildungsvergleich des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Dieser Vergleich sieht NWR wiederum weit unten auf der Liste: NRW bei Bildung weiter abgeschlagen.

Ehrlich gesagt: Bei den Kriterien, die dieses Institut für seinen Vergleich zugrunde legt, finde ich das sogar gut, dass NRW dort keinen Spitzenplatz belegt.

Worum geht es diesem Wirtschaftsinstitut. Man rate…. Genau!

“Kriterien wie Zeiteffizienz oder Förderstrukturen im Bildungssystem werden bewertet, ohne deren Qualität zu messen. „Wir fragen: In welcher Zeit es gelingt, einen arbeitsfähigen Abschluss zu bekommen”, so IW-Geschäftsführer Hans-Peter Klös. Arbeitsmarkteffekte und wirtschaftliche Verwertbarkeit stehen im Vordergrund.

WIRTSCHAFTLICHE VERWERTBARKEIT von Schülern – man lasse sich das Wort im Munde zergehen und lese vielleicht meinen vorletzten Blogbeitrag zur Würde des Menschen in Zeiten, in denen er nur noch als Wegwerfartikel der Wirtschaft eine Existenzberechtigung zu haben scheint.

Natürlich sollen Schüler durch unser Bildungssystem auch dazu befähigt werden, ihren Platz im konkreten (Berufs-) Leben finden und zur Zufriedenheit aller auszufüllen zu können. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Aber das ist doch nicht alles!

Wirtschaftliche Verwertbarkeit? So redet man von Altglas und Recyclingpapier, von Konsumgütern und technologischen Innovationen.

Aber von Schülern? Von Bildung?

Die Reduzierung von Bildung auf die Heranzucht von “wirtschaftlich verwertbaren” Menschen zeigt ein Menschenbild, über das nachzudenken mich in tiefe Depression stürzen könnte.

Eigentlich müsste ein Aufschrei durch diese Republik gehen.

Auch bei der Schweinezucht ist man natürlich darauf bedacht, in möglichst kürzester Zeit mit möglichst geringem Einsatz von möglichst wenig� Mitteln das beste Zuchtergebnis zu produzieren.

Deutschland, quo vadis?

 

Die Rücknahme von Projektionen

“If there is anything that we
wish to change in our child,
we should first examine it and
see whether it is not something
that could better be changed
in ourselves.”
 

                                                   C.G. Jung

 

Der Verlust der Intuition bei der Erziehung und die Folgen

Gar nicht mal schlecht, der Artikel auf Spiegel Online – Schulspiegel:

ERZIEHUNGSZWISCHENRUF
Eltern, fürchtet euch nicht!

Ausschnitt:
”Allen gemeinsam ist klar, dass moderne Kindheit ein reines Desaster sein kann: Gefahren und seelische Verirrungen lauern schon im Kindergarten, Kinder mutieren bei geringsten Erziehungsfehlern zu Schlägern und Tyrannen, mobben wie wild oder haben Leseschwächen. Das alles prasselt auf die jungen Eltern ein, wie gebannt starren sie auf die pädagogischen Informationen und Debatten. Und fürchten sich. … Das Problem: Unter dem ewig besorgten Blick geht den Eltern ihre Intuition für das Kind verloren. … Dabei sind Kinder ganz auf einen sicheren und sichernden Kontakt zu den wichtigsten Menschen, Mutter und Vater, angewiesen. Erst deren bestätigender Blick auf ein Türmchen aus Bauklötzen oder ein anderes kindliches Kunstwerk verankert das unendlich plastische Erkunden und Erkennen verlässlich in der kindlichen Psyche. Wir wissen das heute aus der analytischen Entwicklungspsychologie wie in erstaunlicher Übereinstimmung ebenso aus der fortgeschrittenen Gehirnforschung. Der Mangel an elterlicher Souveränität und bestimmender Sicherheit behindert die Entfaltung von Körpergefühl, Sprache und Selbstbewusstsein und macht die Kleinen unruhig und lustlos.”

Der Artikel ist sehr umfangreich, aber – zumindest in NRW: Es sind ja noch Ferien.

 

Lobenswerte Einsicht – aber…

Nur ein kurzer Artikel, aber es ist Erstaunliches, was die Süddeutsche weitergibt:

Schavan will frühere Einschulung: Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat beklagt, dass Kinder in Deutschland erst mit sechs Jahren eingeschult werden. Die Altersgrenze von sechs Jahren führe dazu, dass viele Kinder in Deutschland für ihre Verhältnisse zu spät in die Schule kommen, sagte Schavan dem Hamburger Abendblatt. Am Ende der ersten Klasse hätten sie dann keine Lust mehr, weil sie unterfordert seien. Daher dürfe es “keinen starren Stichtag” für die Einschulung geben.”

Das lässt doch hoffen.
Aber: Selbst wenn das geschieht: Das wird nichts nützen, wenn nicht gleichzeitig das Heer der Erzieher/innen aufgeklärt wird und bereit ist, auf jedes Kind wirklich und wahrhaft und richtig einzeln zu gucken, um den jeweils individuell richtigen Einschulungstermin zu bestimmen und nicht pauschal und unreflektiert zu sagen “Immer erst mit 6”.

Unendlich viele Eltern, die ihre Kinder auch nur einen Piep vor irgendeinem (selbst: nicht vorhandenen) Stichtag einschulen wollen, werden schrecklich verunsichert und mit Schuldgefühlen behängt mit solch inkompetenten, aber wirksamen Sprüchen wie: “Nehmen Sie Ihrem Kind doch nicht die Kindheit”, “Das Kind ist sozial noch nicht so weit”, “Gönnen Sie dem Kind doch noch das Jahr”, “Seien Sie eine gute Mutter und lassen Sie das Kind doch noch schpiehlen…” und so weiter und so weiter.

Ich bin wirklich ständigständigständig damit konfrontiert in meinen Beratungsgesprächen. Ich kann es nicht mehr hören. Ich hasse es. Was mit diesen undifferenzierten, reflexartigen, schlicht  dummen, aber emotional erpresserischen Sätzen z.T. für ein Leid produziert wird – für die Kinder und auch für die Eltern, das kann sich kaum jemand vorstellen. Und das, weil nicht nachgedacht und individuell auf jedes Kind geguckt, sondern einfach nur eine Schublade gezückt wird.

Ein Kind, das mit fünf Jahren lesen und alles Mögliche andere kann, wird sozial (und psychisch) nur noch desolater werden, wenn es als Vorschulkind ein ganzes Jahr NUR mit dann jüngeren Kindern im Kindergarten zusammen sein muss und zum 1500sten Mal den “Dicken Tanzbären” im Stuhlkreis tanzen und dann auch noch begeistert mitmachen soll, weil es ansonsten ja seine soziale Unreife zeigt.

Man mag mich prügeln, aber ich bleibe dabei: Für mich sind sehr viele “Erzieherinnen” immer noch schlicht “Kinder-Gärtnerinnen”.

 

England III – Thank You Teacher

Als Übergang, um so langsam wieder zu pädagogischen Themen zu kommen – schließlich ist mein Urlaub zu Ende – bietet sich die Schilderung einer Besonderheit des sozialen Lebens in der englischen Gesellschaft an, eine Besonderheit zumindest in dem Sinne, dass wir hier in Deutschland nichts Vergleichbares haben.
Dabei geht es um ein Ritual am Ende eines jeden Schuljahres:

Thank you teacher! heißt die kollektiv erwartete “individuelle” Danksagung an den geliebten “best teacher” vor den Sommerferien.

Zu dieser Aktion gibt es eine enorme Industrie, die Waren aller Art anbietet, um den eigenen Lehrer glücklich zu machen: Glückwunschkarten in allen Größen und Formen, Gedicht- und Textvorschläge dazu, Geschenkhinweise in den Warenhäusern und im Internet wie “Thank you teacher – Special gifts for your teacher”: Parfum, Schreibwaren, Kinokarten und und und…

thankyou

Auf unterschiedliche Art und Weise praktiziert, gibt es diese Lehrerwürdigung in vielen Ländern.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich mir Ähnliches hier für uns wünsche.

Auf den ersten Blick hat das Ganze etwas, denn eine solche Danksagungsaktion ist ja doch eine “kollektiv individuelle” Würdigung der Lehrer und des Lehrerberufes.
Während es hierzulande eher “in” ist – und alle und auch die Schüler machen mit – , Lehrer gerne in jeglicher Weise negativ anzugehen und mit Schuldzuweisungen zu überschütten, scheint in England doch eine ganz andere und zwar wertschätzende Art der Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler vorzuherrschen. 
Ich bin mir nur nicht sicher, ob das tatsächlich der Fall ist oder ob die ritualisierte Danksagung an die Lehrer am Ende eines Schuljahres – man kennt ja das vom Muttertag her – nicht nur ein Feigenblatt ist, das eine Wertschätzung aufscheinen lässt, die sich in der alltäglichen Beziehung im Schulalltag nicht wiederfindet.

Individuell und in der konkreten Situation – ganz unaufwändig und vielleicht nur mit ein paar Worten – Wertschätzung den Menschen gegenüber auszusprechen, mit denen man es zu tun hat, das ist etwas, das jedem in jeder Situation möglich ist. Wir tun das alle viel zu selten…
Aktionen wie “Muttertag”, “Thank you teacher” etc. an festgelegten Tagen scheinen mir da eher Ausweichaktionen zu sein, den persönlichen Dank in der konkreten individuellen Beziehung zu umgehen.