Über die Problematik der Rolle der Jungen in der heutigen Pädagogik wird in letzter Zeit häufig hingewiesen.
“In den jüngsten Statistiken liegen die Mädchen in der Schule bei den mittleren und den höchsten Abschlüssen vorn. Der Anteil weiblicher Schüler an den Gymnasien wächst, während an den Hauptschulen, den Sonder- und den Förderschulen die männlichen Schüler dominieren. Inzwischen verlassen fast doppelt so viele Männer die Schule ohne Hauptschulabschluss wie junge Frauen. Heute erwirbt etwa ein Drittel der jungen Frauen die Hochschulreife, während es bei den jungen Männern nur ein Viertel so weit schafft.”
Ein Grund für schwierige Situation vieler Jungen in Schule und Ausbildung wird in der “Verweiblichung” der Pädagogik gesehen. Dass überproportional mehr Frauen als Männer in erzieherischen Berufen tätig sind, ist nun wirklich kein Geheimnis. Zum einen gibt es das unglaublich große “Heer” der alleinerziehenden Mütter. Vater Fehlanzeige. Zum anderen mag der extrem hohe Frauenanteil vor alleim in der Vorschul- und Grundschulbildung darin begründet sein, dass, wie schon einmal erwähnt wurde, “Arbeit desto schlechter bezahlt wird, je näher sie am Menschen ist.” Kann man mit dem Gehalt eines Erziehers/einer Erzieherin eine Familie ernähren?
Die Gründe für die problematische Entwicklung vieler Jungen, zumal derer mit Migrationshintergrund, sind jedoch vielfältiger. Die ZEIT widmet diesem Thema einen interessanten Artikel.
“Mädchen wollen deutlich häufiger als die Jungen eine anspruchsvolle Bildungslaufbahn am Gymnasium mit Abitur als Fernziel durchlaufen. Sie sind ehrgeiziger als die Jungen. Sie fallen zudem durch ein viel kreativeres Freizeitverhalten auf. Steht bei allzu vielen Jungen die stundenlange Beschäftigung mit elektronischen Medien im Vordergrund, so kombinieren die meisten Mädchen die medialen Anregungen mit alle Sinne ansprechenden Aktivitäten. Handarbeit, Tanzen, Sport, Musizieren und Basteln sind bei ihnen viel stärker verbreitet als bei Jungen.
Das wenig anregende Freizeitverhalten der Jungen hat eindeutig negative Effekte auf ihre Lern- und Bildungsmotivation. Denn durch Fernsehen, Computer und Spielkonsolen werden über viele Stunden am Tag der Sehsinn und der Hörsinn bis zum Gehtnichtmehr trainiert, aber andere wichtige Entwicklungsimpulse bleiben aus. Wie die Hirnforschung bestätigt, kommt es bei einer solchen einseitigen Anregung nicht zu der für eine gesunde Entwicklung notwendigen Verschaltung von Sinneszentren und entsprechend auch nicht zu optimalen sozialen, emotionalen und intellektuellen Kompetenzen.”
Beschrieben wird im Artikel der ZEIT auch, dass zwar die Frauen in den letzten Jahrzehnten zu einem neuen Selbstverständnis ihrer Rolle gefunden haben, so schwierig und unvollkommen das alles bisher auch verwirklicht worden ist, Jungen und Männer, auch hier wieder ausgeprägter bei vorliegendem Migrationshintergrund, jedoch sehr häufig noch von Bildern des “Mann-Seins” beherrrscht werden, die nicht mehr aktuell sind – mit fatalen Konsequenzen:
“Die jungen Männer ziehen hier nicht mit. Nur eine Minderheit von ihnen kann sich eine echte Arbeitsteilung mit der späteren Partnerin vorstellen. Sie klammern sich am traditionellen Männerbild mit der Fixierung auf das eine K der Karriere fest. Sie glauben, als Angehörige des männlichen Geschlechts nach wie vor eine garantierte Option auf den beruflichen Erfolg und die Rolle des Familienernährers zu haben. Entsprechend wenig Ehrgeiz wird deswegen in die Schule investiert.”
Und weiter:
“Das traditionelle Männerbild herrscht in fast allen europäischen Ländern auch bei den Jugendlichen noch vor. Es ist durch ein instrumentelles Verhältnis der jungen Männer zu ihrem Körper geprägt. Völlig anders bei den Mädchen und den jungen Frauen. Sie bauen spätestens mit der ersten Menstruation ein sensibles und sehr bewusstes Verhältnis zu ihrem Körper auf. … und entsprechend fällt es ihnen leichter, sich bei Anspannungen und bei Belastungen, auch bei Leistungsproblemen anderen gegenüber zu öffnen. Die jungen Männer hingegen sind in ihrer Geschlechtsrolle befangen und schneiden sich damit von möglichen kritischen und selbstkritischen Impulsen für ihre Weiterentwicklung ab. Das überträgt sich indirekt auf ihre Leistungsfähigkeit. Die Studien zeigen nämlich, wie unrealistisch ihre subjektive Einschätzung von Begabung und Fähigkeiten ist. Die Jungen glauben nicht nur, sie seien körperlich unbesiegbar, sie glauben fatalerweise auch, in der Schule richtig gut abzuschneiden, auch wenn das nicht der realen Bewertung entspricht.”
Fazit:
“Als das bisher benachteiligte Geschlecht in Bildung und Beruf entdecken die jungen Frauen die Mechanismen des Aufstiegs durch Leistung und machen sie sich zunutze. Die Männer verschlafen diese Entwicklung, weil sie glauben, der hohe soziale Status sei für sie gesichert. Sie verkennen die Spielregeln der modernen Leistungsgesellschaft.”
“Neue Männer braucht das Land” – Das heißt, dass es wohl tatsächlich so ist, dass vielen Jungen positive männliche Identifikationsfiguren fehlen, an deren Vorbild sie neue Selbstverständlichkeiten des “Mensch-Seins” als Mann für sich entwickeln könnten.
“Sie müssen die Gelegenheit haben, als machtvoll und überlegen aufzutreten, den sozialen Raum um sich herum zu erobern und die besonderen Formen der männlichen Selbstbehauptung zu praktizieren. Sie müssen »Mann« sein dürfen. Entsprechend wichtig sind Bewegungsimpulse nicht nur im Sport und in den Pausen, sondern möglichst in jeder Stunde. … Das Fernziel der Männerförderung ist dann, analog zur Frauenförderung, die Fixierung auf die traditionelle Geschlechtsrolle abzubauen und zu einem flexibleren Verständnis von Mannsein zu kommen. Das ist die wichtigste Erkenntnis der Studien: Die Leistungsfähigkeit der jungen Männer kann effektiv nur dann gefördert werden, wenn ihre gesamte Perspektive der Lebensführung inklusive ihres Körper- und Begabungsselbstbildes zum Thema wird.”
Die Frage ist nur, was die in der Überschrift des ZEIT-Artikels formulierte Forderung “Lasst sie Männer sein”, die sicher ihre Berechtigung hat, dann wiederum für die Pädagogik der Mädchen bedeutet.
Also doch wieder zurück zur Geschlechtertrennung im Unterricht?
Es scheint vieles dafür zu sprechen – und dass sich die Geschlechter dabei aus den Augen verlieren könnten, das braucht man heutzutage ja nun weiß Gott nicht mehr zu befürchten.
Pro Trennung: Bei Mädchen kommen dabei erwiesenermaßen bessere Leistungen in naturwissenschaftlichen Fächern und in der Mathematik heraus – und bei den Jungen könnten stärkeres körperliches Abreagieren und klarere Regeln für eine positive Entwicklung – auch in sozialer Hinsicht – förderlich sein.
“Durch Ansätze des »offenen Unterrichts« und unstrukturierte, auf Harmonie und Konfliktunterdrückung ausgerichtete pädagogische Arbeit, die vielerorts vorherrscht, haben Mädchen bessere Entfaltungsmöglichkeiten als Jungen. Ein gut strukturierter und regelgeleiteter Unterricht, das hat schon die Reformpädagogik in den 1920er Jahren immer wieder betont, schafft klare Erwartungen und drückt gleichzeitig Wertschätzung für jedes Gemeinschaftsmitglied aus. Das brauchen Jungen heute, um sich in die Welt der schulischen Leistung einfügen zu können. Kommt ihnen diese Welt allzu weiblich daher, dann stellen sich bei ihnen Fremdheitsgefühle ein, und sie können keine guten Fachleistungen abliefern.”
Drill für Jungs – Freie Lernräume für Mädels?