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Schein und Sein

Zwischen Wollen und Können fließt oft der Mississippi – und zwischen Anspruch und Wirklichkeit auch.

Eine hochbegabte Schülerin geht auf ein bestimmtes Gymnasium im Ruhrgebiet – auf Anraten der Grundschule und weil die Schule zudem im Wohneinzugsbereich liegt. Dort wollte das Mädchen Latein und Französisch gleichzeitig lernen: ein Drehtürmodell in der 6. und 7. Klasse.
Diese Drehtürmöglichkeit wurde offiziell auf der schulischen Homepage angeboten. Trotzdem wussten die Lehrer, die angesprochen wurden, gar nicht, dass es so etwas überhaupt gibt. Es hatte wohl auch noch niemand ausprobiert.
Konzeptionell und planerisch war das Ganze eine Katastrophe, besser gesagt: Es gab kein Konzept und keinen Plan. Bemerkungen von Lehrern bei Kollisionen von Arbeiten waren z. B.: "Bist du ja selbst schuld, wenn du das machst. Ich kann darauf keine Rücksicht nehmen!"
Das Mädchen stand ziemlich alleine da. Zu allem Unglück konnte sie nach diesen 2 Jahren Plackerei und Ärger im Fach Französisch nicht eingegliedert werden, obwohl das vorher so besprochen war. Sie ist jetzt notgedrungen so lange in einem Nebenfach geparkt, bis die anderen, die in der 7 mit Französisch angefangen haben, auf ihrem Niveau sind. Dann steigt sie dort wieder ein.

Immerhin: Nach diesen schlechten Erfahrungen und nach mehreren Gesprächen mit dem Schulleiter gibt es jetzt wieder eine Ansprechlehrerin für besonders Begabte. Man ist ja für jeden Fortschritt glücklich.

Trotzdem: Wer schreibt solche Dinge auf eine Schul-Website? Das ist ja “irreführende Werbung”, im Grunde sogar fahrlässig! Schüler, die diese Angebote wahrnehmen wollen, müssen dies bitter bezahlen in Form von Erduldung von Unverständnis, persönlichen Demütigungen und (organisatorischen) Problemen jeglicher Art.

Ähnliche Erfahrungen sind im Moment leider nicht selten zu machen: Schulen werben für sich auf Teufel komm raus – und ein Fähnchen, auf dem Hochbegabung steht, macht sich da gut. Ob dahinter nur ein gähnender Abgrund droht, vor dem man die Hochbegabten schützen müsste, interessiert da wohl niemanden.

 

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