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Gastbeitrag: Eine ganz normale Grundschule …

Eine ganz normale Grundschule

Ja, es handelt sich um eine ganz normale Gemeinschaftsgrundschule in Nordrhein-Westfalen, über die ich hier berichten will. Eine ganz normale Grundschule, an der Begabtenförderung funktioniert. Eine ganz normale Grundschule, die wie alle Schulen mit Lehrermangel und den kurzfristigen Entscheidungen des Ministeriums zu kämpfen hat, eine Schule, die nicht integrativ arbeitet und daher nicht teilweise mit zwei Lehrkräften in einer Klasse arbeiten kann, eine Schule, an der die Direktorin neben den Aufgaben der Schulleitung eine eigene Klasse leitet und an der nur stundenweise eine Sekretärin anwesend ist.
Und trotzdem sind an dieser 2-zügigen Schule überproportional viele als hochbegabt erkannt oder getestete Kinder.

Eine ganz normale Grundschule, die zur individuellen Förderung verpflichtet ist – und diesem Auftrag tatsächlich nachkommt. Und das spricht sich herum. Wie das funktionieren kann?

Ganz einfach: In den ersten 4 Stunden findet verlässlicher Unterricht statt. Wenn durch Krankheit Lehrkräfte ausfallen, werden die Kinder mit konkreten Arbeitsaufträgen, die ständig bereitliegen, auf andere Klassen aufgeteilt – das kann gerade für jene Kinder, die die Klasse irgendwann in den 4 Jahren wechseln, von enormem Vorteil sein, denn sie kennen andere Klassengemeinschaften und andere Lehrkräfte bereits. So einige Kinder konnten ihr Können schon vor einem Klassenwechsel in die Gemeinschaft einbringen. So sollte vor 2 Wochen Mirko der zweiten Klasse vorgestellt werden: “Kennen wir schon!“ antwortete die Klasse im Chor. Und Mirkos Pate lädt ihn sofort ein, sich neben ihn zu setzen.

Nach der großen Pause haben alle Kinder entweder Fächer wie Englisch oder Religion oder eine AG. Hier mischen sich die Jahrgangsstufen – es ist für so manche Eltern unglaublich, wie viele Kinder sich untereinander kennen! Die Kontakte halten bis in die weiterführenden Schulen hinein. Das AG Angebot reicht von Förderangeboten in Mathe oder Deutsch als Zweitsprache, Schach und Computer über Judo, Tennis und Schulhofspielen bis zu Schulverschönerung, Garten, Geige, Chor und Theater. Durch die Vielzahl des Angebots sind die AG Gruppen kleiner als die Klassenstärken. Es ist selbstverständlich, dass 1.-Klässler gegen 4.-Klässler Schach spielen, 3.-Klässler den Kleinen beim Bau von Brückenkonstruktionen helfen oder gemeinsam die Gartengeräte zum Erdeauflockern tragen. Die Teilnahme an Wettkämpfen ist obligatorisch, sei es das jährliche Schulschachturnier (bei dem die Obermauerschule immer ganz vorne liegt!), Tischtennisturniere, der jährliche Auftritt des Chors auf dem Weihnachtsmarkt, eine Sendung bei Lilliputz,…

Danach beginnt für viele Kinder die Betreuung mit frisch zubereitetem Mittagessen, anschließender Hausaufgabenbetreuung und freiem Spiel oder Ausruhen im Ruheraum…und auch hier spielen Klassenzugehörigkeiten keine Rolle mehr. Peergroups heißt das Zauberwort.

Die Förderung besonderer Begabungen heißt: Wenn möglich durch Wochenpläne, zielgerichtete Freiarbeit und dem AG-Angebot die Kinder in die Klassengemeinschaft einbinden oder: ein Klassenwechsel in eine nächsthöhere Klasse. Es kann auch mal eine Kooperation mit dem nahe gelegenen Gymnasium geben, wenn der Matheunterricht in der 4 nicht mehr ausreicht. Vor einem Klassensprung können die Kinder 1 oder 2 Wochen „mal gucken“, der Weg zurück bleibt immer offen. Wenn alle Beteiligten einverstanden sind, kann der Wechsel offiziell erfolgen. So ist in jeder Klasse mindestens ein „Springerkind“ – das Springen ist für Kinder und Lehrer so normal, wie es eine Klassenwiederholung ist. Auf der anderen Seite wird durch Elternhilfe im Unterricht vieles aufgefangen. So ist der Schulalltag für Eltern transparent, und Lehrkräfte und Kinder profitieren. Eine regelmäßige Eins-zu-Eins Leseförderung, mit Geduld und Zuwendung etwa bringt den in diesem Bereich langsameren Kindern oft den Anschluss an das Klassenziel.

Dass es auch an dieser Schule unzufriedene Eltern gibt, ist genauso normal. Grundsätzlich liegt das Geheimnis des Gelingens in der Kommunikation, Prävention, Transparenz des Unterrichts und der Sensibilität der Lehrkräfte für den Themenbereich Hochbegabung. Und in der Kreativität, alle Lücken im System zu nutzen und Möglichkeiten für unsere Kinder zu schaffen! Und das geht auch – ohne Mehraufwand! – in einer ganz normalen Grundschule.

vera losemann – dipl. pädagogin – specialist in gifted education – systemische beraterin – dyslexietherapeutin i. a. – duisburg – vlosemann @ aol.com

 

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