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Streitfrage Bildungsgerechtigkeit

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Chancengleichheit in der Bildung ist Illusion

Auszüge:

“Eine Studie des Züricher Erziehungswissenschaftlers Helmut Fend, die vor Kurzem veröffentlicht wurde, weist nach, dass Gesamtschulen nicht mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen als die Schulen im gegliederten Bildungssystem. 23 Jahre lang wurden hessische Jugendliche in ihrem schulischen Werdegang wissenschaftlich begleitet. Der Befund ist eindeutig: Ob ein Jugendlicher eine Lehre macht oder studiert, hängt stark vom sozialen Status der Eltern ab. Welche Schulart er besucht hat, spielt dabei kaum eine Rolle.
Warum dann der hartnäckige Kampf um die Einheitsschule, der wie ein Glaubenskrieg ausgefochten wird? Warum sind deren Befürworter immun gegen alle empirischen Befunde, die die Heilserwartungen der Einheitsschule als Schimäre ausweisen? Man kann vermuten, dass die Vehemenz der Forderung Ausdruck einer tief sitzenden Kränkung ist. Einer Kränkung darüber, dass es junge Menschen gibt, denen – unverdient – alles zufliegt, weil sie das Glück haben, in bildungsbeflissenen Elternhäusern heranzuwachsen, während andere – unverschuldet – in Milieus hineingeboren werden, die sie von Anfang an in ihrer Sozialisation benachteiligen. Letztlich ist für die Vertreter der Einheitsschule Bildungspolitik eine verkappte Form von Sozialpolitik.Die Benachteiligungen von Kindern beginnen, wie man heute weiß, sehr früh. Wenn eine schwangere Frau häufig klassische Musik hört, entwickelt das Neugeborene schon früh ein Rhythmusgefühl, die Vorstufe von Musikalität. Wenn kleinen Kindern regelmäßig vorgelesen wird, bilden sie ein differenziertes Sprachvermögen aus und schreiben schon in der Grundschule verblüffend gute Texte. Wenn ein Kind im Elternhaus erlebt, dass die Eltern elaboriert reden und diskutieren, überträgt sich dieses sprachliche Vermögen auf das Kind. Es wird zum verbal geschickten, selbstbewussten Streiter in eigener Sache.
Wenn ein Kind Lob und Zuspruch erfährt, wenn es die Welt im Spiel entdeckt, wird es später auch im schulischen Lernen Neugier und Ehrgeiz entwickeln. Wenn man sich von all diesen stimulierenden Anreizen das Gegenteil denkt, kann man ermessen, wie tiefgründig und wie nachhaltig die Handicaps und Defizite sind, mit denen die Kinder zu kämpfen haben, die in bildungsfernen Elternhäusern heranwachsen müssen. Schon in der Grundschule sitzen sie im hintersten Waggon des Geleitzuges.”

“Was noch zu wenig geschieht, ist die Förderung der Hochbegabten unter den Schülern. Diese Aufgabe aus ideologischen Gründen zu unterlassen wäre genauso unmenschlich, als wenn man die schwachen Schüler ihrem Schicksal überließe. Schon aus volkswirtschaftlichen Gründen können wir es uns nicht leisten, diese Kinder zu vernachlässigen. Sie sind die Garanten von Innovation und Erfindungsgabe, dem wichtigsten „Rohstoff“ in einem rohstoffarmen Land.”

”Das Motto müsste lauten: Vom Kampf um das beste Schulsystem zum Kampf um den besten Unterricht. Meine langjährigen Erfahrungen als Lehrer an unterschiedlichen Schulen haben mich nämlich gelehrt: Es gibt keine gute oder schlechte Schulform, es gibt nur guten und schlechten Unterricht, und zwar mitunter nebeneinander in derselben Schule, Wand an Wand. Hier liegt die wahre Quelle von Ungleichheit. Könnte man diese Unterschiede in der Unterrichtsqualität ausgleichen, und zwar bundesweit, hätte man für die Kinder mehr gewonnen als durch den Kampf um das richtige System.”

 

36 Kommentare zu “Streitfrage Bildungsgerechtigkeit”

  1. Frank Bien schrieb am 7. Juli 2010 um 22:36: 

    Es gibt nirgendwo in Deutschland einen gescheiten Vergleich zwischen Gesamtschule und einem gegliedertem Schulsystem, weil es kein Land gibt, in dem es nur die Gesamtschule gibt. Eltern entscheiden, auf welche Schule ein Kind geht. Und die Infrastruktur.
    Wenn man einfach nur beachtet, das 30% (und diese Angabe ist völlig fiktiv, weil es egal ist, ob es 5 oder 50% sind) eines Gesamtschulabiturjahrganges eine Hauptschulempfehlung hatten, dann sagt das alles aus. Jeder, der heute versucht, von der Hauptschule mit Quali aufs Gymnasium zu wechseln, muss mindestens mit einem Jahr Wiederholung rechnen. Und letztendlich machen vielleicht 1% eines Abiturjahrganges Abitur, die ein Hauptschulgutachten hatten.
    Und wozu?
    Wenn es doch nuhn egal ist, das die Deppen Deppen bleiben, wie mir überall eingetrichtert werden soll, dann kann man das doch auch ganz toll in einer Gesamtschule tun.
    Nein, nicht die Deppen haben Angst davor als Deppen erkannt zu werden, sondern die sogenannten Eliten haben Angst davor.
    Wenn die Kinder von Herrn Dr. oder von Frau Dr. bald mit Hasan in einer Klasse säßen, dann schrillen alle Alarmglocken. Hasan ist nicht minder blöd als die Kinder von Herrn oder Frau Dr., aber arm.
    Es sind die Eliten, die keinen anderen in den Club der Eliten zulassen wollen. Es sind Leute wie George W. Bush, zu blöd einen Eimer Wasser umzukippen, aber mit Papas Hilfe schafft man Yale und wird sogar Präsident der USA.
    Und wo ist das Problem der USA? Die haben eine Einheitsschule! Nur, die etwas besser Betuchten haben sich eine Privatschulhabitat in den USA geschaffen, was es in Deutschland nicht gibt. Und diese “Eliten” möchten weiterhin das Abitur für ihre Sprösslinge für lau. Um Gotteswillen, man soll andere Kulturen auch noch integrieren, ehe mein Kind studiert, gittigitt!

    Und zum Schluss noch eine Frage an Alle: wo gibt es sonst noch das dreigliedrige Schulsystem (außer in Österreich)? Und warum sind alle anderen um uns drum herum laut PISA besser? Ach, die haben kein …

    Ich bin für die Einheitsschule. Und wenn wir unseren Job als Eltern gut machen wollen, dann müssen wir in diesem Schulsystem die Guten und Schlechten fördern. Die Guten zu einem Studienplatz mit Stipendium, die Schlechten zu einem Abschluss in einem Ausbildungsberuf.
    Es werden uns trotzdem einige Lappen gehen. Die können dann Rechtsanwalt oder Außenminister werden.
    Aber ich gebe nicht auf: auch die können wir erreichen!

    VG

  2. Herr Rau schrieb am 9. Juli 2010 um 05:53: 

    Das klingt für mich sehr nach: Hauptsache Einheitsschule, der Rest wird sich dann von selber regeln. Das halte ich für einen Irrtum.
    Ich glaube, dass man Einheitsschule gut machen kann und schlecht, und für das gegliederte Schulwesen gilt das ebenso. Den Leuten, die gerade Einheit fordern, traue ich das aber nicht zu.

    “Die Guten zu einem Studienplatz mit Stipendium, die Schlechten zu einem Abschluss in einem Ausbildungsberuf.” Das sind wir uns einig, nur dass ich nicht “schlecht” gesagt hätte, aber das ist ja wohl auch anders gemeint. Ich glaube nur nicht, dass die Einheitsschule da besser ist. Da gibt es nicht nur die Fend-Studie, sondern noch andere, die das gleiche sagen.

    *Vor* der vierten Klasse und im Kindergarten werden doch schon alle Weichen gestellt. An diesen Stellen muss man was ändern.

    Und das mit den Eliten… da hat die Elitepolizei zu meiner Schulzeit nicht aufgepasst und mich versehentlich doch reingelassen. (Eltern: Hauptschule und Wirtschaftsschule.) Und meine Brüder. Und meine Frau (Gastarbeiterkind).

  3. Lydia schrieb am 13. September 2010 um 04:32: 

    @Herr Rau: …und mich auch (Nichtakademikerkind UND “Migrationshintergrund”) – und dort musste ich mich 8 Jahre lang (das neunte habe ich nervlich nicht mehr geschafft) mit strunzblöden und sichtlich desinteressierten Arzt/Architekten/Anwaltsblagen herumschlagen, bei denen ich mich mehr als einmal gefragt habe, wie die aufs Gymnasium gekommen sind.

    Das 3-gliedrige Schulsystem ist leider inzwischen in bestimmten Kreisen zu einer Art Heiligen Kuh verkommen, weil die Leute einfach nicht wahrhaben wollen, dass allzu oft das oben Genannte passiert. Das Letzte, was der Hochbegabtenförderung zuträglich wäre, wäre somit eine Zusammenwürfelung mit diesen minderbemittelten Akademikerkindern.

    Deswegen: Her mit der “Einheitsschule” – damit dumme Kinder mit gebildeten Eltern nicht mehr die Spitzen unseres Landes verstopfen.

  4. speybridge schrieb am 14. September 2010 um 12:03: 

    Diese Sicht hat was.
    Ich bin ideologisch völlig schmerzfrei: Wenn wirklich individuelle Förderung geschieht, soll mir jede Schulform Recht sein, weil dann tatsächlich das Kind im Mittelpunkt steht. Ich glaube nur nicht dran. Es funktioniert heute nicht – und wenn auch noch die Förderschüler alle ins “normale” Schulsystem integriert werden, wie es die Behindertenkonvention vorsieht, dann werden die Probleme mit den Schwachen so groß, dass die Hochbegabten als Erste hintenrüberfallen, da sie in der Sicht Vieler nur ein “Luxusproblem” haben.
    Das müsste nicht sein. Es könnte ALLES funktionieren, aber man müsste Unterricht und die Rolle des Lehrers “revolutionieren”. Das hört sich dramatisch an, eigentlich aber geht es nur um die Anwendung von Prinzipien des “gesunden” Menschenverstandes, um den individuellen Blick. Wenn Lehrer heute noch wörtlich – und ungestraft – sagen: “Mich interessiert Dein IQ-Test mit 138 nicht”, dann ist Hopfen und Malz für jede Schulform verloren.