Psychiatrisierung der Hochbegabung (?)
Nachdenkenswertes auf der Seite newsclick.de: In dem Artikel mit dem Titel "Wir sind also tatsächlich so weit, dass Hochbegabung psychiatrisiert wird", in dem es um die Psychiatrieversorgung für Kinder und Jugendliche im Raum Peine geht, wird die Frage aufgeworfen, welche Arten von Krankheiten denn überhaupt psychiatrisch behandelt werden (müssen):
“’Die typischen psychiatrischen Krankheiten, mit denen Menschen früher in den Landeskrankenhäusern behandelt wurden, waren Schizophrenie, Depression und Suchterkrankungen. Was heute dagegen zunimmt und auch als psychische Erkrankung behandelt wird, sind Stress-Reaktionen, insbesondere sensibler Menschen, auf gesellschaftliche Veränderungen.’
Nachdenklich stimmt Piel auch der dramatische Zuwachs von Psychopharmaka-Verschreibungen an Kinder und Jugendliche, ohne dass die Langzeitfolgen bisher genau geklärt sind. Einige Jahre lang war die führende Diagnose das ADHS-Syndrom – das Aufmerksamkeitsdefizite und Hyperaktivität erfasst –, in jüngerer Zeit kursiert immer öfter der Begriff Asperger Syndrom – eine leichte Form des Autismus. Aber ein weiterer Begriff tauchte als Diagnose auf, der Piel noch nachdenklicher stimmte: Hochbegabung. ‘Wir sind also tatsächlich so weit, dass sogar Hochbegabung als Verhaltensauffälligkeit beschrieben und als solche psychiatrisiert wird.’
Piel stellt daher kritisch zur Diskussion: ‘Besteht wirklich immer Behandlungsbedarf beim einzelnen Menschen – oder eher Handlungsbedarf in unserer Leistungsgesellschaft?’ Und: ‘Helfen nicht manchmal Sinn und Perspektive im Leben weit mehr als eine Therapie?’
Sogar im Psychiatrieplan des Landkreises Peine ist dieses Grundproblem bereits formuliert. Dort steht: ‘Die Erwartungen an den Erfolg psychiatrischer Therapiekonzepte müssen enttäuscht werden, wenn gesellschaftliche Probleme dauerhaft in den Bereich der Medizin ausgelagert werden. Selbst die beste Therapie werde mangelnde Solidarität und Verbundenheit als unersetzliche Bindeglieder zwischen den ,Erkrankten‘ und den ,Gesunden‘ nicht ersetzen können.’" –
Vor etlichen Jahren ist mein Sohn, damals kurz vor dem Abitur, einmal eingeladen worden, auf einem Ärztekongress einen Vortrag zu halten und das “Phänomen” Hochbegabung aus seiner Erfahrungswelt heraus zu schildern. Der Ärztekongress stand unter dem Thema “Autismus, Asperger Syndrom und Hochbegabung”. Ich habe meinen Sohn damals – und tue es heute immer noch – für seine Souveränität bewundert, die er mit seinen 17 Jahren hatte: Er stellte sich auf das Podium vor das Mikrofon und sagte in den Raum voller “Kapazitäten” hinein, dass er sich wundern würde, Hochbegabung hier im Zusammenhang mit zwei Störungen, die der Therapie bedürften, diskutiert zu sehen. Er würde nun gerne wissen, welches Ziel denn eine Therapie bei ihm als Hochbegabtem bzw. bei Hochbegabung allgemein haben könnte.
Eine Heranführung an “Normalität”?
Eine Angleichung an Normalität”?
Eine Reduzierung auf “Normalität”?
“Normalität?”
Welche?
Die Normalität der Kindergärtnerin, die zu dem hochbegabten Fünfjährigen sagt: “Jetzt vergiss mal wieder alles, versuche, wieder Kind zu sein, geh mit den anderen spielen und überlasse das Denken den Erwachsenen?”
Diskussionen erwünscht.