Keine Begabung verschenken
Der gleichnamige Artikel des Deutschlandfunks wäre bei mir fast als einer dieser begrüßenswerten, aber dann doch nichts wirklich Neues bringenden Artikel über Hochbegabung abgehakt worden, als mir der Ausspruch einer 22-jährigen Studentin in die Augen fiel.
Sie sagt über ihre Hochbegabung:
“Ich denke, es ist eine Gabe, und man muss gucken, was man draus macht. Also ich denke, man hat auch eine Verantwortung, was damit zu machen.”
Wie wahr und wie richtig. Bewundernswert, in dem Alter schon soviel Reife und Eigenverantwortlichkeit zu finden.
Die Forderung danach, keine Begabung zu verschenken, hat ganz klar zwei Seiten:
Die Gesellschaft, respektive Bildungssystem, Schule, Lehrer etc., hat natürlich die Aufgabe, ja die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Begabungen, und auch Höchstbegabungen, sich entfalten können.
Das ist aber nur die eine Seite, die letztendlich leider immer dann ins Leere läuft, wenn das persönliche Engagement des hochbegabten Kindes und seiner Familie nicht einzubinden ist.
Ich habe es schon einige Male erlebt, dass für ein hochbegabtes Kind eine wirklich gute Schulsituation geschaffen werden konnte – aber nie war etwas gut genug. Es zeigte sich dann häufiger, dass das Problem des Kindes letztendlich gar nicht in seiner Hochbegabung lag, sondern in einer permanenten familiären Stresssituation, die eben unverändert blieb. Da man sich nicht mit der Familienproblematik auseinandersetzen konnte und/oder wollte, wurde erneut so lange das Kind zum Problem gemacht, bis es wieder in die Knie ging, tatsächlich wieder schulische Probleme auftauchten – und das Kreisen um das vermeintliche Problem der Hochbegabung und das Jammern über das ach so schreckliche Schulsystem neu begannen.
Heutzutage, wahrscheinlich mache ich mich mit solchen Statements nicht beliebt, ist ja sowie häufig die Einstellung zu finden: “Ich bin das und das, habe das und das an Behinderung oder diese oder jene Besonderheit – Gesellschaft, jetzt mach mal und sorge für mich!”
Natürlich muss “Gesellschaft” adäquate Bedingungen anbieten, aber jeder Mensch trägt auch die Verantwortung für sich selbst!
Schon die Werde-Forderung der Antike “Werde der, der du wirklich bist”, gibt letztlich das Individuum sich selbst in seine eigene Hand.
Werden und Reifen, das kann niemand keinem abnehmen.
Jeder steht da mit sich selbst in seiner eigenen Situation, und manchmal ist sie gut, und manchmal ist sie schlecht.
Wenn eine 22-Jährige in der Lage ist, ihren Teil der Verantwortung für ihre Gabe so deutlich zu sehen – Hut ab!
Viele Menschen, auch viele Eltern hochbegabter Kinder und viele Hochbegabte selbst, sind dazu nicht in der Lage und bleiben ewig in der Klage – zutreffend oder nicht – über die schlechten Bedingungen, in denen sie leben müssen.
Nicht, dass wir in der besten aller denkbaren Gesellschaften lebten – aber selbst wenn wir es täten: für manche Menschen wäre selbst das nicht gut genug. Sie kämen auch in der besten aller Welten nicht klar, weil sie nicht bereit sind, auch mal sich selbst und die eigenen hausgemachten Problematiken aufrichtig anzuschauen, die Verantwortung dafür zu übernehmen und daran zu arbeiten.