HAWIK IV – Erste Eindrücke
Da es nach der Einführung des neuen IQ-Testes, HAWIK-IV, etliche irritierte Rückfragen verunsicherter Eltern gab, welchen IQ-Test man denn nun empfehlen könne und ob da jetzt nun mit dem HAWIK-IV völlig andere Ergebnisse herauskämen, habe ich gerne das Angebot eines testenden Psychologen angenommen, mir einmal das Material des neuen HAWIK-IV zu zeigen, um einen Eindruck zu bekommen.
Der Psychologe, der an ca. 20 Personen den neuen HAWIK angewendet hat, ist angetan von dem neuen Test. Für ihn zeigen sich in einigen Bereichen Verbesserungen, die es erlauben, noch differenziertere Aussagen zu machen, auch etwa zu Hochbegabung und Underachievement.
Es gibt beim HAWIK-IV drei Alterseingangsstufen, wobei sich jeweils das letzte/erste Jahr überlappen, so dass man individuell entscheiden kann, ob ein 16-Jähriger noch den “Jugendtest” oder den der Erwachsenen absolvieren soll.
Erstmals scheint es wirklich möglich, schon 3-Jährige recht zuverlässig testen zu können. Pro Jahrgang wurde der Test an jeweils 75 Mädchen und 75 Jungen durchgeführt, so dass dort eine recht zuverlässige Ergebnis-Vergleichbarkeits-Grundlage entstanden ist. Trotzdem sollten Eltern es sich wirklich gut überlegen, ob ein Test in einem solch frühen Alter schon notwendig ist. Auf puren Verdacht hin, z.B. auf vorliegende Hochbegabung bei ansonsten “unauffälligem” Kind, empfiehlt sich eine Testung in diesem Alter eher nicht. Aber immerhin: es sieht so aus, als ergäben sich zuverlässige Ergebnisse.
Als großes Plus des neuen Testes gab der Psychologe an, dass es nun leichter möglich sei, Hochbegabte und Minderleister zu identifizieren. Eine ganz bestimmte Aufgabe, die hochbegabten Kindern oft zu öde erscheint und bei der gerade diese Kinder einknicken und Fehler machen, gibt es nun gleichzeitig unter einer erschwerten Bedingung. Dabei schneiden dann gerade diese Kinder sehr gut ab. Die Differenz bei der Auswertung dieses Aufgabenkomplexes leichter Teil/erschwerter Teil gibt deutliche Hinweise in Bezug auf die Vigilanz (hier einfach ausgedrückt: Abschlaffen der Aufmerksamkeit bei zu leichten Aufgaben). Unterstützt werden kann diese Aussage durch einen weiteren Testteil, den die Kinder, die den schwierigen anderen Testbereich besser lösten, auch weit besser meisterten als andere Kinder.
Herausgefallen gegenüber dem HAWIK-III sind beim HAWIK-IV z.B. Rechenaufgaben und Bildfolgen; neu hereingekommen sind Bildkonzepte (abstraktes kategoriales Denken), Buchstaben-Zahlen-Folgen (Akustische Merkfähigkeit; Aufmerksamkeit und Konzentration), Matrizen-Test (Visuelle Informationsverarbeitung, Erkennen von Analogien, abstraktes Denken), Symbolsuche (Beobachtungsgenauigkeit, Konzentration, Geschwindigkeit von Verarbeitungsprozessen)
Was mir bei all dem allerdings wieder einmal als Allerwichtigstes aufgefallen ist, das ist die enorme Bedeutung der Person des Testenden. Die kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Ein Beispiel: in einem Testbereich des HAWIK-IV gibt es einen wirklich handwerklichen Fehler: eigentlich dürfen nur 3 Bilder abstrakt inhaltlich zusammenhängen – in einem Fall sind es aber eindeutig 4, wobei die Kombination mit diesem einen Bild, das zuviel ist, per Auswertung als falsch gewertet werden müsste. Es ist aber definitiv eine richtige Antwort, wenn das Kind dieses Bild nennt. Was tun?
Oder: Der Testende sagt nach einer nicht richtig gelösten Aufgabe zum Kind: “Gut, weiter dann: Aber das nächste Beispiel kannst Du dann sicher auch nicht lösen.” – Oder aber er sagt: “Gut, weiter: Das nächste Bild liegt Dir sicherlich viel mehr.”
Allein durch solche, manchmal völlig unbewusst dahergesagten, Dinge kann ein Test massiv beeinflusst werden; ebenso auch durch die Gestaltung von Räumlichkeiten, Hektik im Umfeld, professionelles Desinteresse (Massenbetrieb) etc.
Bei den Testergebnissen bei Anwendung des neuen Testes, die der testende Psychologe, der mir freundlicherweise Einsicht in den HAWIK-IV gegeben hat, festgestellt hat, sieht er bisher keine signifikanten Unterschiede zu den Ergebnissen mit dem HAWIK-III. Aber in dem Bereich eine Aussage zu machen, dafür sei es noch zu früh. Hochbegabung habe sich mit dem neuen Test im Grunde bisher genau so oft herausgestellt wie mit dem alten.
Es mag dennoch sein, dass der Test „schwerer“ geworden ist, dass aber durch die Differenzierung bei einem Testbereich, der für hochbegabte Kinder „zu leicht“ war und schlecht gemeistert wurde, jetzt aber mit dem Wert für den erschwerten Teil dieses Testbereiches „verrechnet“ wird, hochbegabte Kinder besser erkannt werden können.
Der HAWIK-IV wird sich durchsetzen; eine Neujustierung des Testes war überfällig.
Spätestens im nächsten Sommer, so der Psychologe, solle sich niemand mehr mit dem alten HAWIK-III testen lassen. Eltern von Kindern mit Verdacht auf Hochbegabung und/oder Underachievement sollten schon jetzt wegen der besseren Differenzierung der Testergebnisse in einem dafür relevanten Bereich darauf achten, dass der HAWIK-IV als Test eingesetzt wird.
Ob allerdings auch offizielle Stellen wie schulpsychologische Dienste etc. schon bald das Geld für den neuen HAWIK-IV ausgeben können/wollen, bleibt fraglich. Auf die Dauer wird es aber ein K.O-Kriterium sein, den alten Test anzubieten.
Mindestens 1000 Euro müssen für den HAWIK-IV ausgegeben werden. Das Papier der Aufgaben, die bei der Testung oft gebraucht werden, ist dabei leider z.T. viel zu dünn. Es empfiehlt sich eine Laminierung.
Ein EDV-Auswertungsprogramm für den HAWIK-IV ist auf dem Weg, aber noch nicht wirklich zuverlässig einsetzbar. Es dauert halt immer, bis neue Software-Lösungen wirklich zufriedenstellend laufen. Wenn es aber so weit ist, scheint das EDV-Programm eine große Hilfe bei der Auswertung der Testergebnisse zu sein.
speybridge schrieb am 27. Juni 2013 um 09:28:
Hallo Ilka,
bemerkenswert ist ja, dass der IQ-Wert in genau dem Bereich am höchsten ist, in dem die Schwierigkeiten am größten zu sein scheinen.
Meiner Meinung nach sinken Arbeitsgedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit deswegen so drastisch ab, weil eine Chronifizierung von Unterforderung zumindest begonnen hat. Motivation, Aufmerksamkeit, Wille zur Leistung lassen dann nach – und die hohe Begabung verkümmert mit und mit. Das ist eine logische Entwicklung und dem Kind nicht anzulasten: Welcher Schwimmer strengt sich schon im Nichtschwimmerbecken an, schwimmen zu lernen … Das macht keinen Sinn: Das Kind wird am Beckenrand sitzen, mit den Beinen baumeln und sich verlieren.
Mit ein paar Spielen werden Sie die Situation wahrscheinlich nicht ändern. Ich vermute, dass das Ergebnis des Testes durchaus noch nicht die vollen Möglichkeiten Ihrer Tochter widerspiegelt. Sprachlich 140 – allein schon das – haben weniger als 1% der Bevölkerung!
Auch wenn Sie vielleicht die Probleme im Sprachbereich als hinderlich ansehen und auch die verlangsamte Geschwindigkeit: Sie sollten doch an ein Überspringen der Klasse denken. Je länger ein solches Kind in der Unterforderungssituation bleibt, desto schlimmer werden meist die Symptome: Nicht Üben ist hier angesagt, sondern deutlichere Forderung. “Getretener Quark wird breit, nicht stark”, ist für mich eine griffige Formel dafür.
Ein funktionierendes Arbeitsgedächtnis macht nur Sinn, wenn die aufgegebenen Arbeiten als relevant angesehen werden.
Die verlangsamte Arbeitsgeschwindigkeit könnte
1.) eine psychologische Barriere darstellen (hemmender Überdruss), schon wieder dasselbe blöde Zeug machen zu müssen,
2.) von einem Perfektionismus herrühren, auch nur ja keinen Fehler zu machen und etwas Unkomplettes abzuliefern,
3.) Ausdruck dessen sein, dass das Kind viel zuviele Aspekte einer Aufgabe durchdenkt, die weit über das Verlangte hinausgehen,
4.) Ausdruck einer Verunsicherung sein, durch ihre Fähigkeit auf andere Lösungen zu kommen, die sie für “nicht normal” hält, weil sie einsam und allein damit ist – und das Verarbeiten deswegen einstellt.
Denken Sie nicht zu klein – und schauen Sie auch mal dahin, was in Ihrer Familie evtl. so los sein könnte mit Hochbegabung … Gibt es einen Gesprächskreis der DGhK in Ihrer Nähe?
Viele Grüße
speybridge
Ilka schrieb am 27. Juni 2013 um 12:15:
Danke für die schnelle Antwort. In unserer Nähe gibt es eine Elterngruppe der DGhK. Das werde ich mir dann mal mit anschauen.
Wir sollten uns wohl auch mit der Schule zusammensetzen. Allerdings wechselt ab der 3. klasse die Lehrerin, es ist dann wohl sinnvoller zu warten, oder mit der Beratungslehrerin zu sprechen.
Viele Grüße
Ilka
Hei schrieb am 11. Juli 2013 um 11:53:
Hallo,
ich bin, so wie viele andere auch über “google” auf diese Seite gestosen und finde die Antworten wirklich durchdacht und hilfreich. Deshalb bitte ich Sie auch um Ihren Ratschlag.
Es geht um meine Tochter. Sie ist mit 5,3 Jahren mit dem SON-R 6,5 – 17 während einer Sprachheilreha getestet worden.
Laut diesem Test hat sie einen Gesamt IQ von 126 (Kat 150, Mos 108, Sbd 109, Zmr 110, Sit 144, Ana 140, Bdg 122 / abstraktes Denken (Kat, Ana) 145, konkretes Denken (Sit, Bdg) 133, räumliches Denken (Mos, Zmr) 109 und Perzeption (sbd) 109. Uns wurde dort gesagt, dass wir davon ausgehen sollen, dass die Werte für räunliches Denken und Perzeption noch steigen werden, das diese Bereiche nicht angeboren, sondern alters- bzw. entwicklungsabhängig sind.
Jetzt ist sie mit gerade 8 (eine Woche nach dem Geburtstag) mit dem Hawik IV getestet worden. Laut dem Hawik IV hat sie einen Gesamt IQ von 108 (Prozentrang 70,3%. SV 29,7%, 92, WLD 60,5%, 105, AGD 63,1%, 105 und VG 98,1%, 132.
Ich finde beide Testergebnisse gehen sehr stark auseinander.
Als weitere Info sollten Sie noch wissen, meine Tochter hatte selektiven Mutismus, ist fremden gegenüber noch sehr skeptisch und zurückhaltend, schweigt lieber anstatt nachzufragen. Den Tester hat sie nur bei der Testung gesehen, vorher gab es noch keinen Kontakt, er war ihr unsympathisch, sie war gerade von der Klassenfahrt zurück (erster Schultag nach der Fahrt)und sie hatte keine Lust auf den Test.
Aufgrund des Mutismus war sie bei der Frühförderung und wir standen in engem Kontakt mit einer wirklich guten Amtsärtzin.
Sowohl die Frühförderstelle, als auch die Amtsärztin, als auch die Therapeuten der Klinik waren sich alle ziemlich sicher und einig, dass unsere Tochter sehr clever und deutlich weiter entwicklet ist, als andere Kinder im dem Alter.
Sie ist jetzt mit 8 in der 3. klasse, gehört schriftlich zu den Klassenbesten, nur mündlich merken die Lehrer noch deutlich, dass sie immer noch schüchtern ist.
Können alle diese Fakten dazu beigetragen haben, dass der neue Test doch einen aus meiner Sicht recht niedrigen Gesamt IQ ergeben haben. Mir reicht eigentlich die Begründung des Testersnicht aus, dass der Flynn Effekt hier zum tragen kommt. Und in welchem Zusammenhang steht die Verabeitungsgeschwindigkeit mit den anderen Untertests des Hawik, welchen Einfluss hat die VG auf den Gesamt IQ? Welcher Bestandteil des Tests wird am stärksten gewichtet? Kann ich den Hawik IV überhaupt mit dem SON-R vergleichen? Ist der Hawik unter den o.g. Voraussetzungen eigentlich der richtige Test gewesen?
Eine erneute Testung ziehe im monentan nicht in Betracht. Eigentlich sollte die aktuelle Testung helfen herauszufinden, ob es zwischen der kognitiven und emotionalen Entwicklung eine große Lücke gibt,ob sie kognitiv dem emotionalen deutlich voraus ist.
Danke und liebe Grüße
Hei
speybridge schrieb am 11. Juli 2013 um 14:27:
Tja, nicht leicht, zu beantworten.
Am interessantesten ist für mich eigentlich die Frage, warum Sie Ihre Tochter vor kurzem nochmals haben testen lassen. Ihre Leistungen scheinen ja deutlich auf das Gymnasium als weiterführende Schule hinzuweisen, das sie sicher schaffen kann.
Den SON-R und den HAWIK IV miteinander zu vergleichen, ist nicht so einfach, obwohl beide natürlich valide Tests sind. Der SON-R ist sprachunabhängig – und der sog. Flynn-Effekt tritt bei solchen Test tatsächlich etwas öfter auf. Außerdem haben Sie wahrscheinlich die Testversion von 2005 erlebt.
So trifft das Testergebnis eines “älteren” SON-R auf die dazu “relativ neue” Fassung des HAWIK.
Ein paar Pünktchen Unterschied könnte all das schon erklären.
Allerdings bin ich der persönlichen Meinung, dass das “Problem” eher in den Bedingungen des aktuellen Tests liegen:
1.) sprachlich orientierter Test (-> selektiver Mutismus?)
2.) Tester, der dem Kind nicht wirklich sympathisch war (-> selektiver Mutismus?)
3.) Motivationsmangel nach der Klassenfahrt
All dies kann einen Test völlig verfälschen und somit die Vergleichbarkeit verhindern!
Ich halte es nicht für sinnvoll, in die Detailfragen zu diesem Testergebnis einzusteigen, da die Basis nicht eindeutig als tragfähig zu erkennen ist. Die Gefahr ist, dass man herumspekuliert und alles doch ganz anders ist.
Was die Frage nach dem Verhältnis von kognitiver und emotionaler Entwicklung angeht, so ist doch immer ein guter Indikator, mit dem “gesunden Menschenverstand” zu beobachten, inwiefern das Kind zufrieden ist mit dem Leben, das es gerade so führt, oder ob es da große Unstimmigkeiten gibt. Wenn Letzteres der Fall ist, sollte man sich die fraglichen Symptome genauer ansehen. Generell kann ein IQ-Test diese Frage auch gar nicht beantworten: Ein hoher/normaler/niedriger IQ-Wert sagt grundsätzlich gar nichts darüber aus, wie das Kind emotional dasteht und ob es eine Diskrepanz gibt. Selbst, wenn es eine geben sollte, heißt das immer noch nicht, dass das Kind zwingend dadurch beeinträchtigt ist. Eine Frage bzgl. der emotionalen Entwicklung ist ja auch, welche Rolle der (überwundene?) selektive Mutismus (wodurch ist er entstanden?) in der aktuellen Situatuion noch spielt.
Wenn Sie mögen, können Sie mir gerne mehr dazu schreiben, auch über meine E-Mail-Adresse speybridge@web.de
Viele Grüße
speybridge
Mimi schrieb am 17. November 2013 um 12:14:
Hallo
Mein Sohn, 14 Jahre hatte 2 epileptische Krisen. Wurde stationär aufgenommen in einer Spezialklinik. Dort wurde ein Test gemacht. HAWIK-IV. Mit folgenden Ergebnissen:
Sprachverständniss: 101
Wahrnehmungsgebundenes logisches Denken: 133
Arbeitsgedächtniss: 102
Verarbeitungsgeschwindigkeit: 109
Gesamt- Test: 116
Was sagt mir das jetzt genau? Da mein Sohn Medikamente einnimmt, empfinde ich z.B. sein Geschwindigkeit beim Lernen und die Konzentration als viel langsamer als vorher. Im Kontakt mit Fremden, aber auch mit Lehrern….. ist er sehr zurückhaltend und scheu. Bei Freunden und Mitschülern nicht. Was sagt mir dieses Resultat nun genau aus (da ich es geschickt bekommen habe, konnte ich die Psychologin nicht dazu befragen)
Vielen Dank im Voraus
speybridge schrieb am 18. November 2013 um 17:24:
Hm, da kann man “aus der Ferne” im Grunde nichts zu sagen:
Der HAWIK-IV ist als Test o.k.: Herausgekommen ist quasi “Normalbegabung” um die IQ-Werte 100 herum mit einem extremen Ausreißer, der den Gesamt-IQ-Wert in den Bereich der leicht überdurchschnittlichen Begabung steigen lässt – und das bei einem neurologischen Krankheitsbefund und Medikamenteneinnahme.
Persönlich denke ich, dass man unter diesen Umständen mit diesem IQ-Test nicht wirklich etwas anfangen kann. Möglicherweise wäre bei besseren Bedingungen ein höheres Ergebnis herausgekommen, vielleicht aber auch nicht. Um da Sicherheit zu haben, wenn man das möchte, müsste man irgendwann retesten.
Tut mir Leid, dass ich da nichts Aussagekräftigeres zu sagen kann.
Viele Grüße
speybridge