Nebelkerzen
In den letzten Wochen habe ich tunlichst vermieden, all die jetzt wieder auftauchenden Studien und ihre Ergebnisse (Iglu, Pisa) zu kommentieren oder auch nur zu zitieren.
Ob wir hier drei Plätze besser und dort wieder Durchschnitt sind oder was auch immer – wen interessiert’s. Mich nicht mehr. Ganz ehrlich: Ich bin dessen überdrüssig geworden.
Das aufgeregte Hin- und Herdiskutiere ist vor allem Ausdruck der zerrissenen Seele des Deutschen, die sich mal wieder selbst gefällt im Himmelhochjauchzend oder ZuTodebetrübt: Entweder bräsige Selbstzufriedenheit ob der Verbesserung von Platz y auf Platz x oder zerknirschter Weltschmerz und Endzeitstimmung ob einer Verschlechterung oder eines Stillstandes.
Das endlose Diskutieren der erreichten Plätze in den Studien, das Zeit und Zeitungs- bzw. Senderäume füllt, ohne zu wirklichen Erkenntnissen zu führen, hat für mich etwas vom Werfen von Nebelkerzen. Letztlich uninteressante Punkte werden noch und nochmal durchgekaut (dabei weiß jeder: Getretener Quark wird breit, nicht stark), das Wichtige, vor Augen Liegende, sich in allen Studien Wiederholende, Eindeutige und Empörende wird dabei geflissentlich mehr oder weniger außen vor gelassen:
Wir haben ein gravierendes Gerechtigkeitsproblem, das Kinder aus unterpriveligierten Schichten und Migrantenkinder – und dort vor allem auch die Mädchen – völlig unabhängig von ihrem geistig-intelektuellen Potenzial schulisch nicht zum Zuge kommen lässt.
Und das europaweit blamierend eindeutig.
Hinschauen bitte!
Die notwendige innere und äußere Reform des deutschen Schulsystems, das transparenter werden muss hin auf eine wirkliche individuelle Förderung ALLER Schüler und Schülerinnen, wird nicht unnötig dadurch, dass marginale Fortschritte in Studien zu vermelden sind, deren Kriterien nicht immer wirklich transparent und konsequent nachverfolgt werden können. Die Gefahr scheint aber gegeben, dass man sich nach diesen kleinen Verbesserungen – trotz gegenteiliger Verlautbarungen – zurücklehnt nach dem Motto: Ist doch alles nicht mehr so schlimm – und das wirkliche Problem aus den Augen verliert. “Deutschland führt den Durchschnitt an” – so ein Titel in der SZ, der auch die soziale Problematik des deutschen Schulsystems in den Mittelpunkt stellt.
Das deutsche Bildungssystem ist in seinen Grundzügen immer noch ein hochherrschaftliches. Die Abschaffung dieser “elitären” Prägung zu fordern, die nur auf dem Geldbeutel der Eltern beruht, steht nicht im Widerspruch zur Forderung nach Förderung von Kindern mit besonderen Fähigkeiten, mit Hochbegabung.
Es geht in jedem Falle um individuelle Förderung jedes Kindes gemäß seines Potenzials.
Es geht schlicht um mehr Gerechtigkeit in der Bildung – für jeden Schüler, unabhängig von der Herkunft, für jedes Potenzial, egal ob groß oder klein.