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Und wieder: The Last Night of the Proms

Untenstehender Artikel stammt ursprünglich von 2006, aber es ist kein Problem, ihn ohne große Veränderung aktuell wieder zu übernehmen. Eben habe ich auf NDR die Last Night of the Proms 2014 gesehen – und meine Reaktion über die Jahre hinweg ist immer wieder dieselbe: Die Last Night – vor allem der zweite und letzte Teil – rühren mich. Sehr sogar. Ziemlich sehr.

Gerade jetzt, wo in der nächsten Woche die Abstimmung der Schotten darüber ansteht, sich als eigenen Staat etablieren zu wollen, kann die Last Night of the Proms – daran glaube ich – den Ausschlag geben, eben dies nicht zu tun, nämlich sich abzuspalten. Die Identitätskraft dieses Ereignisses der Last Night (naja: und die des gerade angekündigten neuen Babys von Kate und William) sollte nicht unterschätzt werden. Mit all dem wird etwas angesprochen in den Menschen, das sich letztlich als stärker herausstellen könnte als das politisches Wollen vieler Schotten, ein selbständiger Staat zu werden.

Die Last Night of the Proms vereint Menschen überall in England, in Wales, Schottland, Nord-Irland – allein Zehntausende in den Parks – und sie singen mit: Sie sind dabei eins mit sich, eins mit ihrem Körper, dem Gesang und ihrem United Kingdom. Eindeutig. Man spürt das beim Zusehen fast körperlich. Das alles ist wirklich stimmig und macht mir immer wieder neu eine Gänsehaut.

Hier nun mein Artikel von 2006:

Heute Abend war im NDR-Fernsehen die Übertragung des berühmten zweiten Teils der “Last Night of the Proms” aus der Royal-Albert-Hall in London zu sehen.

Es war wieder bewegend, mitzubekommen, wie diese Veranstaltung – sehr ritualisiert in ihrem Ablauf, in ihrem Repertoire, und doch immer wieder spielerisch neu und selbstironisch inszeniert – die Briten eint, sie zusammenschweißt, wo auch immer sie leben.

Zehntausende waren in Parks in London/England, Glasgow/Schottland, Swansea/Wales und Belfast/Nordirland vor riesigen Leinwänden zusammengekommen und sangen zusammen und zur selben Zeit dieselben Lieder, vereint in einem Geschehen, das – über alle Gegensätze und Unabhängigkeitsbestrebungen hinweg – für sie zutiefst sinn- und identitätsstiftend ist.

Eins-Werden im Singen von “Rule Britannia”, “Land of Hope and Glory”, “Jerusalem”, das interessanterweise auch ein Kirchenlied ist, der Nationalhymne und vor allem der “Auld Laing”, das unserem “Nehmt Abschied Brüder” entspricht.

Bewegende Bilder aus den Parks: Singen mit ganzem Körper, aus ganzem Herzen. Das Ganze eine kollektive Herzberührung. Da war so etwas wie eine authentische Liebe zur eigenen Tradition, der man ja ansonsten nun auch nicht unkritisch gegenübersteht, zu spüren. Da sah man, man verzeihe mir das Wort, wirklich die “Volksseele”.

Wir haben hier in Deutschland nichts Vergleichbares.
Vielleicht gab es bei der WM im Sommer zum ersten Mal flüchtige Ansätze in diese Richtung: Momente, Glücksmomente, in denen die Menschen sich eins fühlten mit sich und ihrem Land, ohne dass dabei ein merkwürdiger Beigeschmack entstand.
Vielleicht können wir da vorsichtig, vorsichtig weitermachen. Von der Innigkeit, mit der die “verrückten” Engländer im Grunde ihres Herzens an ihrem Land hängen, sind wir chronisch unzufriedenen Deutschen allerdings noch weit entfernt.

 

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