Prekariat
Abgesehen davon, dass dieses Wort, Prekariat, alle Chancen hat, Karriere als „Unwort des Jahres 2006“ zu machen, ist es so prägnant und provokativ, dass ich mich dazu motiviert fühle, es einmal in ganz anderem Sinne als dem momentan aktuellen anzuschauen.
Wir alle sind mittlerweile „Prekariat“, Menschen in problematisch-prekärer Situation – einfach in unserem Mensch-Sein, einfach dadurch, dass wir Menschen sind und die Welt so ist, wie sie ist.
Eigentlich, von unserem Ursprung her, sind wir das natürlich nicht, Prekariat. Da sind wir lebendige Wesen, ein jedes in seiner eigenen Würde, dazu berufen, zu wachsen, zu werden, eine je eigene Individualität zu entwickeln.
Eigentlich!
Prekär wird die Situation eines jeden von uns durch die immer weiter fortschreitende, perfid-selbstverständliche
ÖKONOMISIERUNG DES MENSCHEN.
Durch die Reduzierung des Menschen auf einen Wirtschaftsfaktor, ja, auf ein Wirtschaftsrisiko, wird ihm die eigene Existenzberechtigung genommen in seinem Eigen-Sein, in seiner Würde.
Der Mensch wird degradiert zu einem Objekt eines wirtschaftlich-technokratischen Denkens mittels einer Sprache und eines Handelns, die ihn in seinem Mensch-Sein entwürdigen zu einem Wachstums-Risiko bzw. einem Mittel zur Gewinn-Maximierung. Was geschieht, ist eine psychisch/geistige Verelendung und Entmenschlichung des Individuums.
Kinder sind „Armutsrisiko“; wenn sie Glück haben, sind sie „Humankapital“. Später dann werden sie zur „vielversprechenden Zielgruppe“ kommerzieller Anbieter, zum „Quotenpotenzial“ unsäglicher Fernsehsendungen.
Wenn sie Pech haben, gehören sie zum problematischen „Selektionsrest“, für den es eine Lösung zu finden gilt durch einen „Casemanager“ beim Jugendamt.
Ist der Mensch erwachsen und arbeitsfähig, ist die Gefahr sehr groß, schnell zu den „Belegschaftsaltlasten“ eines Konzerns zu gehören, ein „überkapazitäres Belegschaftsmitglied“ zu sein, das, um die beachtlichen Gewinne des Konzern noch weiter zu steigern, flugs zum „Globalisierungsopfer“ gemacht wird im Rahmen einer generellen „Personalentsorgung“, aus der sich dann ganz schnell eine spürbare „Entlassungsproduktivität“ für den Konzern ergibt, was durch die Aktienkurse prompt honoriert wird.
Immerhin gibt es in der Arbeitslosigkeit, als „Kunde“ einer Arbeitsagentur, die Möglichkeit, „Ich-AG“ zu werden. Gelingt dem Arbeitslosen keinerlei Reintegration in den „Markt“, so kommt schon einmal ein Manager auf die Idee, von „Wohlstandsmüll“ zu reden.
Bei gesundheitlichem Ausfall ist man im Krankenhaus nur als „Fallpauschale“ etwas wert.
Wird er älter, so droht der Mensch zum Teil der bedrohlichen „Rentnerschwemme“ zu werden mit einem „Langlebigkeitsrisiko“ für Versicherungen, denen ein „sozialverträgliches Ableben“ durchaus genehm wäre.
Im Altenheim oder als „Klient“ der Mobilen Pflege hat der Mensch Anrecht auf eine Pflege, die ihm – als Rollstuhlfahrer! – insgesamt acht Minuten für den Klogang bewilligt, inklusive An- und Abfahrt, Aus- und Anziehen. Mehr kann nicht abgerechnet werden.
Für die Entsorgung von „Sozialleichen“ muss leider die Stadt aufkommen.
Unsere Situation ist prekär.
Wer einen “Werteverlust” in der Gesellschaft beklagt, mit dem Finger auf Verrohung, Verwahrlosung und psychische Verelendung zeigt und gleichzeitig den Blick starr auf Aktienkurse und Gewinnprognosen gerichtet hält, ist ein Heuchler und Teil des Problems.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“….
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Nachtrag (22.10.): Im Blog Epiphanius’ Wortbruch fand ich eben interessante weitere Gedanken zu diesem Thema….
Wir sind Unterschicht und Präkariat! « Epiphanius’ Wortbruch schrieb am 23. Oktober 2006 um 05:08:
[…] Bitte weiterlesen! Im Blog Speybridge finden sich noch sehr genuine Gedanken zu diesem Thema. Posted by epiphanius Filed in Blogroll […]