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Im Verein

Wenn viele Menschen guten Willens, die sich einst zusammengeschlossen haben, um sich gemeinsam und stark für ein wirklich menschenfreundliches Ziel einzusetzen – ehrenamtlich und mit viel Engagement über viele Jahre hinweg und sogar erfolgreich … dann sollte man doch annehmen, dass, wenn diese Menschen für ein ganzes Wochenende zusammentreffen, um die gemeinsame Sache voranzutreiben, dies ein Grund zu ungetrübter Freude sei.

Mitnichten, so muss man immer wieder voller Staunen feststellen.

Mitnichten.

Das Mitglied

In mein’ Verein bin ich hineingetreten,
weil mich ein alter Freund darum gebeten, ich war allein.
Jetzt bin ich Mitglied, Kamerad, Kollege –
das kleine Band, das ich ins Knopfloch lege, ist der Verein.
Wir haben einen Vorstandspräsidenten
und einen Kassenwart und Referenten und obendrein
den mächtigen Krach der oppositionellen
Minorität, doch die wird glatt zerschellen
in mein’ Verein.

Ich bin Verwaltungsbeirat seit drei Wochen.
Ich will ja nicht auf meine Würde pochen –
ich bild mir gar nichts ein …
Und doch ist das Gefühl so schön, zu wissen:
sie können mich ja gar nicht missen in mein’ Verein.
Da draußen bin ich nur ein armes Luder.
Hier bin ich ich – und Mann und Bundesbruder
in vollen Reihn.
Hoch über uns, da schweben die Statuten.
Die Abendstunden schwinden wie Minuten
in mein’ Verein.

In mein’ Verein werd ich erst richtig munter.
Auf die, wo nicht drin sind, seh ich hinunter
was kann mit denen sein?
Stolz weht die Fahne, die wir mutig tragen.
Auf mich könn’ Sie ja ruhig »Ochse« sagen,
da werd ich mich bestimmt nicht erst verteidigen.
Doch wenn Sie mich als Mitglied so beleidigen … !
Dann steigt mein deutscher Gruppenstolz!
Hoch Stolze-Schrey! Freiheil! Gut Holz!
Hier lebe ich.
Und will auch einst begraben sein
in mein’ Verein.

Theobald Tiger (Kurt Tucholski), Die Weltbühne, 1926

 

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