Keine Trennung
“Liebe den Nächsten wie dich selbst”: Wie eindeutig diese neutestamentliche Aufforderung doch ist – und wie missverständlich!
Eindeutig:
Es gibt keine Nächstenliebe ohne die Liebe in sich selbst zu sich selbst.
Man kann auch auf dieser Ebene nur geben, was man “hat”.
Missverständlich:
Liebe zu sich selbst interpretiert als Eigenliebe auf der Ebene der Bedürfnisbefriedigung und falsch verstandenen Selbstverwirklichung als “Ich-Verwirklichung”. Diese missbraucht den “anderen” gerne als Mittel zum Zweck der subtilen Selbstbefriedigung – oft auch in der selbstlos aussehenden Unterstützung “anderer”.
Helfersyndrom oder das Auftreten überfürsorglicher Mütter sind deutliche Phänomene in diese Richtung. Oft ist dieser Missbrauch äußerst subtil.
Aber es ist dies:
Jedes Objekt, jede Person, die ich wahrnehme, ist nur scheinbar von mir getrennt. Ein Bild dafür ist im Christentum das von dem “einen Leib und den vielen Gliedern”. Unser Bewusstsein gaukelt uns die Trennung von “Ich” und “Du” und “Gott” und “Welt” nur vor. Es ist die “Vertreibung aus dem Paradies”, die uns in die Welt der scheinbaren Trennung katapultiert hat – aus der Welt der Einheit heraus. Unser Bewusstsein hat “vergessen”, dass wir alle eins sind – und ureigentlich immer noch im “Paradies” leben. Alle spirituellen Wege reden nur davon, dass uns alle Türen dahin immer offenstehen.
“Es mag für manche Menschen paradox klingen – aber für mich beginnt der Egoismus, wenn man – sich selbst vergessend – an andere denkt. Denn dann wird der Andere doch zum Objekt.
Im Grunde gibt es nur Selbst-Bewusstsein. Der Andere ist da einbezogen wie die Luft zum Atmen.
Für mich fängt Egoismus nicht an, wenn man bei sich selbst bleibt – nein: Er hört genau dann auf! Denn dies ist die Aufhebung der Grenze zum Anderen – oder, um es positiv zu sagen: die Öffnung zum Anderen auf einen selbst hin.”
(WAZ, “Heinrich”, 23.12.2000)
Liebe den Nächsten wie dich selbst!
Epiphanius schrieb am 5. Dezember 2006 um 16:43:
Ja, danke Speybridge, das ist mir eine geniale Klarstellung.