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Empfehlungen zur Schulformwahl

Mit den Halbjahreszeugnissen des vierten Schuljahres ist auch immer die Entscheidung über die Schulform der weiterführenden Schule verbunden.
In einigen Bundesländern besteht freie Schulformwahl, d.h., Eltern können trotz gegenteiliger Empfehlung die Schulform für ihre Kinder wählen, die sie bevorzugen.

In anderen Ländern, vor allem auch in NRW, sieht das anders aus – und folgende Überlegungen gelten zunächst auch nur für NRW:

Nach dem Schulgesetz des Landes NRW vom 15.2.2005, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.6.2006, haben grundsätzlich zunächst die Eltern die Wahl der weiterführenden Schule – allerdings seit der Gesetzesänderung nicht mehr uneingeschränkt. Nach § 11 Abs.4 des Schulgesetzes NRW sieht die Situation – verkürzt – folgendermaßen aus: Aufgrund des Leistungsstandes und weiterer Kriterien erstellt die Lehrkraft des Kindes eine Empfehlung für eine Schulform, evtl. mit dem Zusatz, dass das Kind eingeschränkt auch eine andere Schulform besuchen kann.

An diese Empfehlung sind die Eltern gebunden.
An diese Empfehlung sind auch die Direktoren der Schulen gebunden, die ein Kind, bei dem die betreffende Schulformempfehlung fehlt, nicht einschulen dürfen.

Nun kommt es ja bekanntermaßen bei hochbegabten Kindern durchaus vor, dass sie keine Gymnasialempfehlung bekommen – sei es, weil sie aus Langeweile tagträumten, den Clown spielten, keine Leistung zeigten oder sie gar verweigerten. Keine Gymnasialempfehlung für hochbegabte Kinder, das ist aber sicher in fast allen Fällen eine falsche Entscheidung mit oft fatalen Langzeitwirkungen.

I  Möglichkeiten der Eltern, vor der Schulformempfehlung Einfluss zu nehmen
1.) Gespräch mit dem/der Klassenlehrer/in
Nehmen Sie auf jeden Fall jemanden als Zeugen mit, am besten jemand Neutralen, der/die schriftliche Notizen macht bzgl. der Antworten auf wichtige Fragen wie:
a) Begründung der Schulempfehlung
b) Weiß die Lehrkraft von der besonderen Begabung des Kindes?
c) Wurde Rücksicht auf die besondere Begabung genommen?
d) Reaktion der Lehrkraft auf die Frage, ob ihm/ihr bekannt sei, dass JEDER Schüler ein Recht auf individuelle Förderung hat, auch die hochbegabten Kinder
e) Reaktion auf den Hinweis, dass man im Fall der Fälle Widerspruch einlegen und weitere Schritte einleiten wird.

2.) Gespräch mit dem/der Direktor/in der Schule
Auch hier: Nehmen Sie jemanden möglichst Unbeteiligten als Zeugen mit, der/die schriftliche Notizen macht bzgl. der Antworten auf wichtige Fragen wie die oben formulierten (a – e).

3.) Sinnvoll kann evtl. auch die Einschaltung des Schulamtes sein.

Für all diese Gespräche siehe die Empfehlungen im allerletzten Abschnitt unten.

II  Möglichkeiten der Eltern, die Schulformempfehlung zu verändern:
1.) Vom Gesetzgeber vorgesehene Möglichkeit:

Beantragung eines Prognoseunterrichts durch fremde Lehrkräfte der gewünschten Schulform. Dieser Prognoseunterricht ist für die Kinder oft sehr belastend, aber doch schaffbar. Nach erfolgreichem Prognoseunterricht können die Kinder dann die gewünschte Schulform besuchen. Erfolgsgarantie: sehr ungewiss; kaum vorhersagbar.

2.)  Möglichkeiten auf dem Rechtsweg:
Gegen die Empfehlung der Grundschule bzw. der Entscheidung des Schulamtes steht Eltern und Schülern Rechtsschutz zu.
Es kann insbesondere im Falle eines hochbegabten Kindes sinnvoll sein, davon Gebrauch zu machen. Da die Ursache schlechter schulischer Leistungen bei hochbegabten Kindern häufig in deren permanenter Unterforderung liegt, ist anzunehmen, dass die Schulform des Gymnasiums in der Regel am geeignetsten für die Motivation der Kinder ist.

Nimmt man diese Möglichkeit in Anspruch, kann man im vorläufigen Rechtsschutz gerichtlich einstweilen die vorläufige Aufnahme des Kindes in die gewünschte Schulform erwirken. Wenn das Kind während des laufenden Verfahrens dann die der Schulform entsprechenden Leistungen erbringt, darf es endgültig bleiben, ansonsten findet die Überprüfung der Empfehlung statt.

Diese Überprüfung ist aber eine rein auf Verfahrensaspekte begründete: Sie beschränkt sich auf Fehler beim Zustandekommen der Prognoseentscheidung!

Bei hochbegabten Kindern dürfte es allerdings einfacher sein, die Schulformempfehlung einer Lehrkraft anzugreifen. Schon die Tatsache, dass ein Kind hochbegabt ist, müsste eine Empfehlung für’s Gymnasium selbstverständlich machen, da alles andere eigentlich gegen anzuwendendes Recht verstößt: § 2 Abs. 11 SchulG NRW, besagt, dass besonders begabte Schüler/innen durch Beratung und ergänzende Bildungsangebote in ihrer Entwicklung zu fördern und dass der Staat verpflichtet ist, im gegebenen Rahmen den besonderen Bedürfnissen dieser Kinder gerecht zu werden. Dafür kommt in unserem Schulsystem eigentlich nur der Besuchs eines Gymnasiums infrage.
Wenn als Argument angeführt wird, keine Gymnasialempfehlung auszusprechen, dass ein hochbegabtes Kind evtl. nicht die entsprechenden Schulnoten für eine Gymnasiumsempfehlung mitbringt, kann man argumentieren, dass das Kind bislang nicht entsprechend seiner Begabungen gefördert worden ist und dass zu erwarten ist, dass eine begabungsentsprechende Förderung auf einem Gymnasium zur Leistungssteigerung führen wird.

Die Korrektheit der gegebenen Schulformempfehlung ist auch dann anzweifelbar, wenn sich die empfehlende Lehrkraft in ihrer Prognoseentscheidung überhaupt nicht mit der Hochbegabung des Kindes auseinandergesetzt hat, sei es, dass sie nichts davon wusste oder dass sie die Hochbegabung trotz Kenntnis völlig außer Acht gelassen hat.

Laut § 11 Abs.4 SchulG NRWO haben die Lehrer – was viele nicht wissen! – NUR eine NEGATIVAUSWAHL hinsichtlich der Schüler, die für eine bestimmte Schulform zu empfehlen sind, zu treffen. Das heißt, es sollen keine Schüler für eine Schulform empfohlen werden, sondern nur die Schüler NICHT empfohlen werden, die eindeutig für eine bestimmte Schulform NICHT geeignet sind. Darin steckt ein mächtiges Argument, denn von einer eindeutigen Nichteignung fürs Gymnasium kann man bei einem hochbegabten Kind normalerweise nicht ausgehen.

Wenn man vorhat, gegen eine Schulform-Empfehlung vorzugehen, sollte man sich vorher einige Dinge schriftlich geben lassen: die Begründung der Lehrkraft für die Empfehlung und auch die Begründungen, die in einem evtl. geführten Gespräch mit der Schule genannt werden.

Jede Klage ist natürlich ein “Versuch”, Erfolg keineswegs garantiert.

Fazit:
Die gütlichste Lösung ist immer die beste.
Häufig kann ein guter schriftlicher Widerspruch seitens der Eltern an die Schule mit Hinweis auf eine Klageabsicht auch schon so manche Schule zum Einlenken bewegen. Das wäre dann für alle der einfachste Weg.

Wichtig vor allem von Anfang an: Nicht den Kopf in den Sand stecken und jahrelang einfach tatenlos zusehen, wie ein hochbegabtes Kind mehr und mehr Motivation und Leistungsfähigkeit und –bereitschaft verliert.
Empfehlenswert ist auf alle Fälle, schon im Vorfeld die Situation im Blick zu haben, wenn eine falsche Empfehlung droht – was ja meist nicht völlig unerwartet geschieht: Auf die Hochbegabung hinweisen, Gespräche führen (am besten mit einem neutralen Zeugen, der cool bleibt), Aufzeichnungen zu machen.

Bitte bleiben Sie in allen Gesprächen zwar fest, aber möglichst freundlich und kooperativ!
Fragen stellen („Wie können wir für das Kind jetzt die beste Lösung finden?“, „Glauben Sie nicht, dass ein hochbegabtes Kind auf der Haupt-/Realschule untergeht?“, „Wissen Sie eigentlich, dass Sie nicht eine Positivwahl, sondern nur eine Negativwahl treffen dürfen?“ (siehe Text), „Wissen Sie eigentlich, dass laut Schulgesetz auch hochbegabte Kinder ein Recht auf individuelle Förderung haben?“ etc. etc.) ist meist die bessere Taktik als Fordern. Eine unangemessen forsche Haltung verschärft normalerweise die Situation. Gehen Sie in diesem Falle besser eine „Instanz“ höher.

 

63 Kommentare zu “Empfehlungen zur Schulformwahl”

  1. Umweltratte schrieb am 19. August 2010 um 13:49: 

    es ist schon schlimm, dass die kinder die leidtragenden sind…

  2. Miriam schrieb am 8. April 2012 um 13:59: 

    Jeder sollte dies selbst am besten wissen.