Dem Elternwillen ausgeliefert
Immer wieder gibt es Berichte wie den, der aktuell auf Spiegel online zu finden ist. Diesmal lautet der Titel Deutsche Schul-Boykotteure wollen Asyl in den USA:
“Der Fall sorgt für Aufsehen: Eine schwäbische Familie bibeltreuer Christen wollte ihre Kinder zu Hause unterrichten. Die Behörden verboten es, deshalb wanderte sie in die USA aus und beantragte Asyl als ‘politisch Verfolgte’. Ihre Unterstützer hetzen mit kruden Nazi-Parallelen gegen Deutschland.”
Auch die Süddeutsche berichtet: Flucht vor der Schulpflicht, ebenso die ZEIT: Schulpflicht ist richtig.
Jeder sollte “nach seiner Façon” selig werden dürfen, kein Thema – und es mag tatsächlich den einen oder anderen Fall geben, in dem Homeschooling (vorübergehend) tatsächlich die beste Lösung für ein Kind ist. Auch in Hochbegabtenkreisen wird natürlich über “Unterricht zu Hause” diskutiert.
Mir bleibt das Ganze jedoch unsympathisch, daran hat sich nichts geändert (siehe hier).
Die Gefahr, dass Kindern die Auseinandersetzung mit der “bösen Welt draußen” versagt bleibt und sie auf Gedeih und Verderb dem – wie auch immer (ideologisch) geprägten – Willen ihrer Eltern komplett ausgeliefert sind, ist nicht zu unterschätzen.
Dazu die ZEIT: “Es ist gut, dass Deutschland an diesem Prinzip [der Schulpflicht] festhält. Denn wer hier von persönlicher Freiheit spricht, verwechselt etwas: Es geht nicht um die Freiheit der Eltern, sondern um das Wohlergehen der Kinder. Die haben ein Recht nicht nur auf Bildung, sondern auch auf individuelle Entfaltung und ihre eigene persönliche Freiheit. Sie kann durchaus über die Visionen ihrer Eltern hinausgehen.
Eltern haben zwar die Pflicht, für ihre Kinder zu sorgen und sie dürfen das auch entsprechend ihren Weltanschauung tun. Aber sie sollen deshalb noch lange nicht bedingungslos Macht ausüben. Das bedeutet es nämlich, wenn sie ihren Kindern andere Lebensentwürfe und Erfahrungen vorenthalten, die ihnen Lehrer und Mitschüler beibringen und vorleben. Die Schule ermöglicht es, viele Menschen und Sichtweisen kennen- und akzeptieren zu lernen und neue Talente zu entdecken.”
Elternwille – selbst der bestwollende – kann dem Kindeswohl durchaus Schaden zufügen.
Das wird ungern gehört, gilt aber für viele Bereiche der Eltern-/Kindbeziehung.
Auch wenn unser Schul- und Bildungssystem eine ziemlich unübersichtliche und oft unbefriedigende Baustelle ist: Homeschooling kann die Lösung nicht sein.
Speybridge » Blog Archive » Anachronismen schrieb am 25. September 2010 um 19:15:
[…] Kinder zu Hause unterrichten und nicht in die öffentlichen Schulen schicken wollen (siehe hier und hier). Dem nachzugeben, würde in vielen Fällen heißen, Kinder ganz und gar ihren Eltern auszuliefern […]