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Gutachten

Am Freitag wird es nach der neuen Schulordnung in NRW zum erstenmal verbindliche Gutachten für den Übergang auf eine weiterführende Schule geben.

Das bedeutet, dass die Grundschullehrer eine Empfehlung abgeben – und diese ist dann verbindlich! Da gibt’s keine Diskussion. Dabei ist eine eingeschränkte Zweitempfehlung möglich, also in der Art: “Empfehlung Hauptschule, mit Einschränkung Realschule”. Diese Zweitempfehlung, die etwas mehr Luft nach oben ließe, liegt aber im Ermessen der Lehrer.

Es ist also ab jetzt mehr so, dass die Eltern das letzte Wort bei der Wahl der Art der weiterführenden Schule für ihre Kinder haben.

Bei Unstimmigkeiten wird es dann so sein, dass ein Probeunterricht von drei Tagen für das Kind (“Prognoseunterricht”) an der gewünschten Schulform beantragt und durchgeführt werden muss und ein dreiköpfiges Gremium dann entscheidet, ob das Kind für diese Art der weiterführenden Schule geeignet ist. Die Entscheidung dieses Gremiums ist dann das letzte Wort in dieser Angelegenheit.

Um zunächst das Positive an dieser Art von verbindlichem Gutachten herauszustellen:
Gewinner dieser Entscheidungsverlagerung auf die Lehrer beim Übergang in die weiterführenden Schulen könnten vor allem Mädchen mit Migrationshintergrund sein, vor allem islamisch geprägte Mädchen. Diese Mädchen drohen z.T. heute immer noch standardmäßig in einer Schulform zu landen, die unter ihren Möglichkeiten liegt, weil die Eltern sich für ihre Mädchen nichts anderes vorstellen können – unabhängig von ihren Fähigkeiten. Das wird so nicht mehr möglich sein.
Manche Schüler, für die das von den Eltern her nicht vorgesehen war, werden also von diesem verbindlichen Gutachten profitieren und eine Chance bekommen, das Gymnasium zu besuchen.

Es gibt natürlich auch eine Kehrseite dieser ab jetzt verbindlichen Grundschulgutachten – und hochbegabte Schüler könnten in negativer Weise von der neuen Regelung betroffen sein:

Hochbegabte Kinder, die jahrelang durch ständige Unterforderung demotiviert den Unterricht mehr oder weniger ertragen, ohne besondere Leistungen zu zeigen, verträumt aus dem Fenster schauen oder auch die Teilnahme am Klassengeschehen boykottieren und stören, könnten Gefahr laufen, nur eine Empfehlung für die Real- oder gar Hauptschule zu bekommen.
Falls diese Entscheidung nicht noch geändert wird, so kann das oft eine ziemliche Katastrophe bedeuten, da auch weiterhin mit sich in der falschen Schulform sogar verschärfender Unterforderung der besagten Schüler gerechnet werden muss. Bei Hochbegabung die Haupt-, Real- und z.T. auch die Gesamtschule besuchen zu müssen, bedeutet in den meisten Fällen eine fatal falsche Weichenstellung: Der Teufelskreis von Unterforderung und falschen Entscheidungen kann unter Umständen zum kompletten Schulversagen der Hochbegabten führen, oft kombiniert mit sozialen Auffälligkeiten, gravierenden psychischen Problen etc.

Man muss die Entwicklung diese Gutachten betreffend genau beobachten. Es wird schon gemunkelt, dass es in absehbarer Zeit viele juristische Auseinandersetzungen in dieser Sache geben wird.

Viel wird davon abhängen, ob Lehrer tatsächlich in der Lage sind, ihre
Schüler kompetent, klar und individuell in ihrer Eigenart wahrzunehmen;
ihre Prognosen und Entscheidungen sind für die Kinder wichtig und zukunftsentscheidend.
Die Gutachten sollten zutreffen.

 

30 Kommentare zu “Gutachten”

  1. SLash schrieb am 22. Januar 2007 um 00:24: 

    Wo liegt der Unterschied zwischen der harmlos anmutenden Redewendung “verbindliche Empfehlung” und einer “Anweisung der man Folge zu leisten hat” – kurz Befehl ?
    Hochbegabten geht es nicht erst seit dieser “Anweisung” schlecht. Unser ganzes Schulsystem samt Inhalt und Lehrern gehört auf den Müll.

  2. speybridge schrieb am 22. Januar 2007 um 09:00: 

    “Verbindliche Empfehlung” – naja, dieser Begriff ist tatsächlich wohl in der Kategorie “Schönsprech” einzuordnen. Diese Empfehlung ist wirklich bindend – mit Ausnahme des Prognoseunterrichtes, der beantragt werden kann. Die daran anschließende Bewertung ist das letzte Wort in der Sache. Wahrscheinlich wird man klagen können.

    Vieles am Schulsystem ist überholt, schon wahr, aber es ist eben nicht leicht, Abhilfe zu schaffen, zumal die Bildungshoheit bei den Ländern liegt und der Konsens eine generelle “Erneuerung” des Schulsystems betreffend kaum herzustellen sein wird. Von daher geht der Weg immer noch dahin, aufzuklären. Mehr Bewusstsein und Wissen bei den Lehrern erleichtern ganz konkret die Lebenssituation der Kinder. Das ist ja schon mal was – jedenfalls ist es das Mögliche im Moment.