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Sprachstandserfassung

So, nun habe ich also die ersten Rückmeldungen über die neuen Sprachstandserfassungen mit Delfin im Kindergarten erhalten – und ich weiß nicht, ob diese Erfahrungen zum Lachen oder zum Weinen Anlass bieten:

In einem Kindergarten betrug die Quote der Verweigerer 90%. Den Kindern war die Situation fremd; das Spielchen wurde von “irgendeiner” Grundschullehrerin geleitet – und die Kinder, egal auf welchem Sprachstand, haben schlicht gefremdelt und geschwiegen.

Auch schon Kunde bekommen habe ich vom Abschneiden zweier wohl hochbegabter Kinder, die beide normalerweise reden wie Wasserfälle. Eines davon, ein Mädchen, kann darüber hinaus ernsthafte Gedichte wie die Fontane-Ballade vom “Herrn Ribbek” auswendig rezitieren. Das Mädchen hat schlicht geschwiegen (s.o.) – und ist deswegen “durchgefallen”; der Junge fand das Ganze so demütigend, dass er es boykottiert hat, indem er irgendwelche unsinnigen Laute und Satzfetzen produzierte und damit natürlich als defizitärer Sprecher aufgefallen ist. Auf die Idee, dass ein 4-Jähriger schon zu Ironie und eigenständigem Handeln in der Lage sein könnte, ist niemand gekommen.

Der Test scheint, vor allem und zumindest, was die Durchführung angeht, extrem überarbeitungsbedürftig zu sein.
Auch über das Niveau des Sprach-Spielchens mag man streiten. Hochbegabte sind durchaus, siehe oben, in der Lage, Situationen, die sie als unwürdig empfinden, zu boykottieren. Das sollte man zumindest wissen, wenn man “professionell” mit Kindern zu tun hat. Dieses Wissen ist aber bis heute durchgängig nicht voraussetzbar:
So wurde mir z.B. von der schulärztlichen Einschulungsuntersuchung eines mit IQ 140 getesteten 6-Jährigen berichtet. Der sagte sehr bestimmt, nachdem er vier Farben benennen und ein 9-teiliges Pumuckl-Puzzle zusammenbasteln sollte, was er dann auch widerstrebend (normalerweise machte er “ernsthafte” Puzzle mit 500 Teilen) getan hatte, auf die zusätzliche Aufforderung, noch drei Teile in die richtigen Öffnungen einer Box zu stecken: “Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst! Darf’s sonst noch was sein!?” Darauf die Schulärztin zur Mutter: “Naja, körperlich ist er ja soweit, aber besonders helle scheint er nicht zu sein!”

Auch bei den Sprachstandstest scheint es wieder einmal nur auf die Mindestanforderungen anzukommen. Eigentlich wären diese Erhebungen – ohne zusätzlichen Aufwand, ohne zusätzliche Kosten – auch eine wunderbare Gelegenheit, Kinder mit besonders gut ausgeprägten Sprachfähigkeiten, Kinder mit sprachlicher Hochbegabung, früh zu erkennen, damit auch sie entsprechend gefördert werden können.
Vielleicht kommt ja noch jemand auf die Idee…

 

1.512 Kommentare zu “Sprachstandserfassung”

  1. SLash schrieb am 28. März 2007 um 23:19: 

    90% ist schon eine beachtliche Zahl. Bei uns hat heute der Test begonnen und morgen nochmal. Habe noch keine Rückmeldung. Ich werde morgen mal nachfragen.

    “Eigentlich wären diese Erhebungen auch eine wunderbare Gelegenheit, Kinder mit besonders gut ausgeprägten Sprachfähigkeiten, sprachlicher Hochbegabung, früh zu erkennen, damit auch sie entsprechend gefördert werden können.
    Vielleicht kommt ja noch jemand auf die Idee…”

    Das ist nicht vorgesehen. Nur schlechte werden gefördert. 2% kann man schon mal “übersehen”. Wenn diese Begabung dann verkümmert ist, können sie sie wieder fördern…

    Unser scheint auch sprachbegabt zu sein, mal sehen wie er eingestuft wird.

  2. SLash schrieb am 29. März 2007 um 06:59: 

    Mir kamen da noch einige Gedanken…

    Wurden die Kinder gar nicht auf diesen vorbereitet ?

    Hat der Kindergarten, haben die Eltern nicht erklärt was ungefähr auf ihre Kinder zukommen wird ?
    Also wir haben unserem erklärt, dass heute eine fremde Lehrerin kommt und mit ihm in einer kleinen Gruppe irgendwelche Spielchen machen wird und auch vielleicht komische Fragen stellen wird, usw…

    Eltern von s.g. Hochbegabten müssten eigentlich schon wissen, dass ihr Kind den anderen Kindern etwas voraus ist. Sie könnten ihrem Kind erklären, dass der stattfindenden Test nicht seinem Niveau entspräche. Sie hätten ihm den Frust ersparen können.

    Die 90% Boykottierer dürften somit auf das Konto von Kindergarten und Eltern gehen.

  3. speybridge schrieb am 29. März 2007 um 08:53: 

    Leider ist es eben nicht so, dass alle Eltern die (Hoch-)Begabungen ihre Kinder erkennen. Schön wär’s. Sehr oft erlebe ich es, dass Eltern von 14 oder 15 Jährigen “aus den Wolken” fallen, wenn sich nach einem langen Leidensweg dann “urplötzlich” das Kind als hochbegabt herausstellt. Auf Nachfrage gibt es dann tausende Erinnerungen an ungewöhnliche Fähigkeiten und typische Auffälligkeiten der Kinder, die man damals schlicht als “normal” oder “nervig” abgetan oder ganz ignoriert hat. Grrr!
    Und selbst, wenn Eltern um die Begabung ihres Kindes wissen, sind sie oft nicht in der Lage, differenziert mit ihren Kindern Situationen zu besprechen.
    Was das “Fremdeln” der Kinder angeht, so ist das eigentlich ziemlich normal: fremde Gruppe, fremde Lehrperson, Beobachter rund herum. Vor allem Mädchen, zumal die mit Migrationshintergrund, verhalten sich dann oft sehr schüchtern. Das Prozedere muss also deutlich überarbeitet werden.
    Ich bin gespannt auf Deine Erfahrungen mit Deinem Sohn.

  4. SLash schrieb am 31. März 2007 um 11:18: 

    Ich hatte ein kurzes Gespräch mit einer Erzieherin und sprach sie auch auf deine Eindrücke an. Sie meinte, dass sie ein s.g. offener Kindergarten seien. D. h. von den 60 Kindern kennen alle, alle Erzieherinnen (leider nur Frauen – bei oftmals allein erziehenden Müttern, könnten mehr männliche Erzieher nicht schaden). Es waren Gruppen von ca. 4 Kindern, ein Erzieher (der ja bekannt ist) und eine Lehrerin, fertig. Von einer Verweigerung, oder “fremdeln” konnte sie nichts berichten. Unser Sohn war unauffällig, im Sinne von “keine Defizite”. Meiner Meinung nach, liegt es nicht am Test, sondern an den Erziehern und Eltern. Wenn du sagst, dass Eltern “aus allen Wolken fallen”, wenn sie über die s.g. Hochbegabung ihrer Kinder erfahren, zeigt es mir deutlich, dass sie sich überhaupt nicht mit ihren Kindern auseinandersetzen. Wenn mein Kind auffällig ist, dann rede ich doch mit anderen darüber und bekomme diese und jene Hinweise. Dann gehe ich doch den verschiedenen Sachen auf den Grund ?! Wozu setzen sie denn Kinder in die Welt ?
    Bei mir hat es auch 2 Jahre gedauert, bis ich gemerkt habe was es eigentlich bedeutet “Vater” zu sein. Bis dahin “funktionierte” ich nur. Vieles nervte einfach und durch dieses nerven (und natürlich Unwissenheit) fühlte man sich überfordert. Als ich dann die Supernanny bei RTL sah, habe ich einiges gelernt. Langsam versuchte ich, die Welt mit “seinen” zu sehen. Wenn man sich in die Bedürfnisse usw. des Kindes hineinversetzt, versteht man gewisse Verhaltensweisen viel besser und reagiert viel gelassener. Ich habe wirklich nicht viel über Erziehung gelesen. Gewisse Erfahrungen haben ich übernommen und dazu die Supernanny haben aus mir einen anständigen Vater gemacht. Dazu muss ich natürlich bereit sein, Missstände zu erkennen, mir helfen zu lassen, oder selbst an mir zu arbeiten. Das Kind ist der Spiegel der Erwachsenen, wenn man das Kind unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, könnte man erkennen wie man mit ihm umgegangen ist.
    Ich treffe oft Mütter auf dem Spielplatz und schüttle meist geistig den Kopf über ihre Verhaltensweisen. Zum einen wollen sie das Kind zum spielen “zwingen”, wie “geh doch mal da hin, oder willst du lieber schaukeln, bau doch mal ein Burg, mischen sich in Streitgespräche unter den Kindern ein…”, zum anderen kleben sie ihren Kleinen am Arsch und lassen sie in keinsterweise ihre Erfahrungen selbst machen. Läuft ein Kind etwas weiter weg, springen sie auf und laufen hinterher, anstatt sitzen zu bleiben und abzuwarten was passiert. Oder, sie kommen urplötzlich auf die Idee zu sagen: “so, wir gehen jetzt. Kommst du ?! Ich gehe jetzt, wenn du nicht kommst…” Natürlich gehen sie nicht und holen irgendwann das Kind. Spricht man mit einigen und versucht ihnen Tipps zu geben, wie z.B. sagen sie doch 5 Minuten vorher bescheid, dass sie gehen wollen, oder bleiben sie doch mal sitzen, dass Kind kommt in der Regel von alleine wieder, bekommt man meist irgendwelche ablehnende Hinweise, dass das bei ihrem Kind nicht funktioniere und man es sowieso schon probiert hat etc. .
    Oder aber sie probieren es erst gar nicht. Das gewisse Dinge nicht von gleich auf nachher klappen, übersehen sie oft. Manchmal kommt es mir so vor, dass sie sich beschämt fühlen und meinen alles falsch zu machen. Nur weil ich ein paar Tipps gebe, mache ich doch nicht alles richtig!
    Viele verwechseln glaube ich, Konsequenz mit Liebesentzug und haben dadurch Angst, ihr Kind könnte sie nicht mehr so lieb haben. Wie wichtig dieses Grenzen setzen ist, unterschätzen sie. Bei meinem Jüngsten (4) waren wir von Anfang an konsequent und trotzdem hört er nicht immer. Er fängt an zu diskutieren, oder möchte erst noch dieses oder jenes machen. Auch mit ständiger Konsequenz kann man die Forderungen eines Kindes nach Grenzüberschreitungen nicht wegblasen. Dennoch brauchen wir die Dinge maximal 3 mal sagen, denn dann lenkt er ein. Er weiß genau, wie weit er gehen kann. Dadurch das “alles” so gut geklappt hat, wurde ich etwas nachlässiger. Statt 2 durften es auch 3 Kekse sein, oder ja nimm noch dies oder jenes mit, ja dieses darfst du auch…. und plötzlich hörte er nicht mehr beim 3. Mal. Plötzlich merkte ich, wie ich alles 5 mal sagen “musste”. Mit diesen alten Verhaltensmustern muss man ständig üben. Ich meine eher, die Kinder erziehen uns zur Disziplin; denn wenn ich nachlässig bin wird es mein Kind auch. Das was ich möchte, muss ich auch vorleben, sonst wächst es mit Widersprüchen auf, die keine Richtung vorgeben. Ohne Richtung kein Ziel, ohne Ziel kein Erfolg.
    Es könnte alles so einfach sein, würden die Eltern mehr an sich selbst arbeiten.
    So genug geprädigt, bin doch kein Messias. :)

    Schönes Wochenende Gruß SLash

  5. speybridge schrieb am 31. März 2007 um 19:43: 

    Ich kann Dir einfach nur Recht geben… :-)
    Selber schönes Wochenende!