Der Elternwille…
… ist ein hohes Gut.
Es kann trotzdem nicht angehen, ihn in allem als Maßstab für wichtige Entscheidungen deren Kinder betreffend zu nehmen – und zwar durchaus gerade zum Schutz der Kinder.
Eltern meinen zwar immer, sie wüssten genau, was ihren Kindern gut tue und was sie bräuchten: Inhalte und Maßstäbe dessen, was sie ihren Kindern vermitteln oder manchmal auch aufzwingen wollen, sagen jedoch oft mehr über die Bedürfnisse und Prinzipen, Ideologien und auch Verirrungen der Eltern aus, als dass sie tatsächlich zum Wohl der Kinder wären.
Es ist kein Geheimnis, dass unser Schulsystem nicht mehr effektiv und zeitgemäß ist und nun wirklich nicht jedem Kind die richtige individuelle Förderung zukommen läßt. Das ist leider so und muss verändert werden, weil Kinder oft leiden unter nicht akzeptablen Unterrichtssituationen. Dabei ist es gut, dass es viele alternative Schulkonzepte gibt, die für einzelne Gruppen – unter staatlicher Aufsicht – individuelle Unterrichtskonzepte anbieten.
Konsequent weitergedacht könnte man meinen, es sei vielleicht sinnvoll, wenn es auch die freie Wahl der Möglichkeit der total individuellen Beschulung zu Hause gäbe: das völlig selbstbestimmte Lernen in der Familiensituation, so wie es z.B. das “Netzwerk Bildungsfreiheit” verlangt. Es geht um die Forderung: Weg mit dem Schulzwang und her mit dem Homeschooling.
Bei dieser Forderung nach der “Bildungshoheit der Familie” wird allerdings, meiner Meinung nach, die Grenze des sinnvollen Rufs nach Freiheit des Einzelnen und der Priorität des Elternwillens deutlich überschritten.
Zunächst mag der Gedanke bestrickend sein, Kinder frei vom oft frustrierenden Schulalltag individuell und persönlich in der Familiensituation zu Hause beschulen zu dürfen.
Zu Ende gedacht kann sich diese Wunschvorstellung für einzelne Kinder jedoch durchaus zum Horrorszenario entwickeln – und auch gesamtgesellschaftlich gesehen birgt diese Forderung große Gefahren in sich.
Verblieben Kinder z.T. bis zum Erwachsenwerden “rundum” in der Familie – und von dieser ausschließlich kontrolliert,
– wären die Kinder den Eltern und der jeweiligen “Familienideologie” ausgeliefert
– würde der Aufbau einer wirklich eigenständigen Identität für die Kinder extrem erschwert, weil es für die Heranwachsenden kaum Möglichkeiten gäbe, alternative Denk- und Lebensformen kennenzulernen und auszuprobieren
– wäre jedweder extremen Haltung in der Erziehung Tür und Tor geöffnet.
Oft geht es den Eltern nämlich nicht wirklich um ihre Kinder, sondern um die Weitergabe unterschiedlichsten ideologischen Gedankengutes – und Kinder können sich nicht wehren in einer symbiotischen Situation, in der sie quasi “inzuchtmäßig” der Familienideologie ausgeliefert sind und alternativlos nicht anders können, als sich mit dem Familiensystem zu identifizieren.
Scientologen, Eltern, die Sexualunterricht ablehnen, ihren Kinder die Teilnahme am Sportunterricht oder den Umgang mit den modernen Medien verbieten wollen, Zeugen Jehovas, politisch links/rechts Extreme, Eltern, die jedweden wissenschaftlichen/biologischen Ansatz ablehnen und nur die Schöpfungsgeschichte als Ursprung des Lebens unterrichtet haben wollen (Kreationismus) – kurzum: jedwede extremreligiöse, extrempolitische und/oder sektiererische Richtung könnte so zu Hause ihre kleine “Parallelgesellschaft” aufbauen.
Es kann nicht im Sinne unserer Gesellschaft sein, fundamentalistische Tendenzen in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu unterstützen oder auch nur zuzulassen.
Zudem – man mag es vielleicht nicht gerne hören: Nicht alle Eltern tun ihren Kindern gut.
“Freiheit, die ich meine”, kann auch in einem demokratischen Staat nicht bedeuten, allen alles zu gewähren.
Ausnahmen sollten dabei aber in besonderen Fällen durchaus möglich sein und in Offenheit erlaubt werden.
Aber auch nur dort: in Ausnahmefällen.
Bei der Untersuchung dieser Einzelschicksale muss allerdings immer und ohne Ausnahme und ganz eindeutig das sorgfältigst ermittelte Kindeswohl Maßstab für eine Entscheidung sein – und nicht allein der Wille der Eltern.
Speybridge » Blog Archive » Dem Elternwillen ausgeliefert schrieb am 6. April 2009 um 09:36:
[…] Jeder sollte “nach seiner Façon” selig werden dürfen, kein Thema – und es mag tatsächlich den einen oder anderen Fall geben, in dem Homeschooling (vorübergehend) tatsächlich die beste Lösung für ein Kind ist. Auch in Hochbegabtenkreisen wird natürlich über “Unterricht zu Hause” diskutiert. Mir bleibt das Ganze jedoch unsympathisch, daran hat sich nichts geändert (siehe hier). […]
1000Sunny schrieb am 9. April 2009 um 08:22:
Ich hoffe Sie denken über solche generellen Beleidigungstiraden gegenüber Eltern noch einmal genau nach. Auch der Scientologen-Vorwurf und der Fundamentalisten-Generalverdacht sind unterste Schublade.
Wie können Schulen je erwarten, dass Eltern ihre Kinder vorbehaltlos am Gatter zur Konformierung abgeben, wenn sich dahinter solche Elternhasser verbergen?
Wer die Kinder vor seinen Eltern beschützen will, anstatt den Eltern zu helfen besser mit ihren Kindern umzugehen läuft in eine ganz falsche Richtung.
Das sieht man auch an ihrem Verständnis von Demokratie, wo die Unschuldsvermutung nur in Ausnahmefällen gelten soll.
Speybridge » Blog Archive » Anachronismen schrieb am 25. September 2010 um 19:13:
[…] ihre Kinder zu Hause unterrichten und nicht in die öffentlichen Schulen schicken wollen (siehe hier und hier). Dem nachzugeben, würde in vielen Fällen heißen, Kinder ganz und gar ihren Eltern […]