Dringend gesucht: Qualität und Authentizität
Im Vorfeld schon in allen Nachrichten, habe ich es mir nicht entgehen lassen, den “Skandal” auch anzusehen im Fernsehen: Marcel Reich-Ranicki verweigert die Annahme des Fernsehpreises vor Hunderten von illustren Gästen im Saal und dem ganzen Fernsehvolk draußen vor den Bildschirmen.
Nachdem so hochwertige Sendungen wie “Deutschland sucht den Superstar” ausgezeichnet worden waren, sollte Reich-Ranicki den Ehrenpreis für sein Lebenswerk bekommen. Der vorgesehene Preisträger machte jedoch allen einen Strich durch die Rechnung.
Ich schaute mir das alles dann also an gestern Abend und erwartete einen arrogant-auftrumpfenden Reich-Ranicki, wie man ihn ja nun als “Literaturpapst” so kennengelernt hat.
Nein, nichts dergleichen.
Reich-Ranicki war es eher unangenehm, all das, was er sagen musste, zu sagen. Es war eher wie bei Martin Luther: “Ich stehe hier, ich kann nicht anders.”
Er blieb sich treu – und anders als bei den zelebrierten Tränchen der vielen Möchte-Gern-Stars, die ihre Trophäe mit viel Gedöhnse bejubelten – wehte plötzlich ein Hauch von Ernsthaftigkeit durch den Raum, von Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, von Authentizität.
Das Ganze war eher berührend als ein Skandal.
Thomas Gottschalk, der Laudator Reich-Ranickis dazu: “Dass Reich-Ranicki es ablehnen würde, den Ehrenpreis anzunehmen, damit hatte ich allerdings keine Sekunde gerechnet. Andererseits steckt in der Ablehnung eine gewisse Logik: Wenn er eine halbe Stunde lang eine wild gewordene Horde Teenager sieht, Atze Schröder in einer weißen Paradeuniform, Richterin Salesch und zwei Köche mit idiotischen Texten erleben muss, ist es für ihn in der Tat konsequent zu entscheiden: Ich habe hier nichts verloren.”
Thomas Gottschalk gilt mein Respekt für seine großartige Reaktion – die auch prompt von Reich-Ranicki belohnt wurde, als er ihm in einer seiner hinreißenden Geschichten indirekt das “Du” anbot.
Das war ein fast intimer Moment in der ganzen öden Show, weit jenseits aller Anbiederei.
Danke Marcel Reich-Ranicki.
Man lese und höre und sehe
beim WDR
in der Süddeutschen Zeitung – auch hier – und die Rede Reich-Ranickis hier.
in der WAZ – mit Filmausschnitt hier
in der FAZ
in der ZEIT
Übrigens – und vielsagend:
“ZDF-Intendant Markus Schächter nannte den Auftritt Reich-Ranickis in der Nacht zu Sonntag eine ‘Sternstunde’ des Fernsehens, der ehemalige RTL-Geschäftsführer Helmut Thoma bezeichnete das Geschehen als ‘pure Comedy’, ZDF-Talker und -Entertainer Markus Lanz ordnete das unter den 1500 Gästen für Aufregung sorgende Ereignis als ‘Folklore’ ein.”
Kommentar unnötig, oder?
Nachtrag:
Jetzt purzeln sie nur so, die Zeitungsberichte, die die miese Qualität des Fernsehens anprangern. Wussten wir alle das nicht schon lange??? Natürlich! Aber es bedurfte wohl eines Aktes der Wahrhaftigkeit, um tatsächlich Scheiße Scheiße nennen zu dürfen.
Man lese in der Süddeutschen: Therapie Wahrheit – Dumpfheit, Grellheit, Dummheit – Eine Parade von Peinlichkeiten.