Sic! Und nochmal Dortmund!
Diese Woche ist für Dortmunds pädagogische Landschaft eine wirklich gute, ja außergewöhnliche: zuerst wird die Grundschule „Kleine Kielstraße“ als beste Schule Deutschlands ausgezeichnet und nun – vielleicht nicht ganz so bedeutend – die Städtische Kindertageseinrichtung „Wilde Wiese“ mit dem Labyrinthchen als Kindergarten 2006 der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind.
Das Labyrinthchen wird von der DGhK Rhein-Ruhr in jedem Jahr einem Kindergarten oder einer Kindertagesstätte verliehen als Anerkennung für vorbildliche Leistungen in der individuellen Begabungs- und Begabtenförderung.
Schule und Kindergarten – beiden Institutionen ist gemeinsam, dass sie in einem Vorort einer Ruhrgebietsgroßstadt liegen – und zwar durchaus nicht in einem der großbürgerlichen Vorzeigeviertel – und dass viele Kindern dorthin gehen, die einen Migrationshintergrund haben. Das alles ist also kein Hinderungsgrund für ausgezeichnete, ja auszeichnungswürdige pädagogische Arbeit.
Gerhard Langemeyer, der Oberbürgermeister Dortmunds, sagte bei der Preisverleihung an die Grundschule Kielstraße – man kann es gar nicht oft genug zitieren: “Diese Schule nimmt Leistung ernst, fördert individuell, und es herrscht ein Klima tiefster Wertschätzung gegenüber Schülern.”
Das Geheimnis des Erfolges hier und dort ist also der individuelle Umgang mit den Kindern und eine generelle Leistungsfreundlichkeit. Das noch größere Geheimnis des Erfolges liegt wohl in dem Wort „Wertschätzung“, „tiefste Wertschätzung“: Es ist immer leicht, Menschen – Kinder auszugrenzen: Migrantenkindern geht das oft so – und eben auch hochbegabten.
Die sind ja auch nicht immer einfach: sehr begabt, oft sehr sensibel, sehr sehr hartnäckig, verweigern sich manchmal dem allgemeinen Programm, oft den Kleinkinderspielen, nennen ihn „Babykram“ und wollen lernen, wollen alles erkunden, wollen Antworten auf die existentiellen Fragen des Lebens haben, oft weit jenseits dessen, was ihre Altersgenossen aufnehmen und verarbeiten können.
Es liegt dann oft nahe, in der Hektik des Alltags diese Kinder abzuspeisen, in ihrer Eigenart zu ignorieren oder zum Problemfall zu machen, zu stigmatisieren und zu isolieren.
Das Sein hochbegabter Kinder im Kindergarten – und überall – glückt, wenn alles offen ist, wenn die individuelle Art des – jedes! – Kindes gefördert und nicht verlangt wird , dass ein Kind in einer pädagogisch vorgegebenen, fest definierten Richtung artig funktionieren muss.
Mit einer flexiblen, individuellen Art, mit den Kindern umzugehen, mit offenen Gruppen, vielen Anreizen unterschiedlichster Art und neigungsorientiertem Arbeiten, ist es gar nicht schwierig, ein generelles, begabungsfreundliches Klima zu schaffen, das letztendlich allen Kindern – und nicht nur den besonders begabten – zugute kommt.
Wie heißt es so schön: Bei Flut steigen alle Schiffe!
Das ist es doch eigentlich, was wir uns alle wünschen:
Begabungsfreundlichkeit als Selbstverständlichkeit in jedwedem Umfeld, eine offene Atmosphäre, in der jeder seinen Fähigkeiten gemäß Förderung und Wertschätzung und Würdigung bekommt – alle Kinder und eben auch besonders begabte.
Es ist wichtig, den Kindern ganz selbstverständlich zu vermitteln, dass sie einfach sein dürfen, was sie sind und wie sie sind, damit sie erfahren, dass sie nicht verrückt oder dumm und unzulänglich (viele Hochbegabte glauben das tatsächlich) oder gar ein „Problemfall“ und irgendwie falsch sind, sondern in ihrer Eigenart angenommen und in Ordnung.
Ausgerüstet mit einem guten Selbstverständnis werden die Kinder so in die Lage versetzt, ein gutes Identitätsgefühl zu entwickeln, ausgeglichene, selbstbewusste, zufriedene Jugendliche und Erwachsene zu werden, denen es dann auch leichter gelingt, ihre außerordentlichen Fähigkeiten in Höchstleistungen umzusetzen. Dies kommt doch letztlich der ganzen Gesellschaft zugute. Wenn unsere Gesellschaft etwas braucht, dann sind es integre, reife, begabte, leistungsstarke, ja vielleicht sogar charismatische Menschen.
Den Boden dafür zu bereiten, ist eine der wichtigsten Aufgaben, die ein Kindergarten hat, denn die entscheidende Phase in der Erziehung ist die Zeit vor der Einschulung. Es gibt Psychologen, die sogar behaupten, die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes sei im Prinzip mit sechs Jahren abgeschlossen. Ob das so zutrifft, weiß ich nicht, aber sicher ist: In der Vorschulzeit wird der Grundstein gelegt für alles Weitere.
Kindergärten, die eine wirklich individuelle Entwicklung der Kinder je nach ihrer Eigenart fördern, leisten damit viel Aufbauarbeit, damit Leben, auch das Leben Hochbegabter, gelingt.
Hochbegabung ist ein kostbares Geschenk – aber es muss auch wertgeschätzt werden und zur Geltung kommen können und dürfen.